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Rezeption als Weltbeziehung

Einführung der resonanten Medienerfahrung in die Medienrezeptionsforschung

Was suchen Menschen, wenn sie sich Büchern oder Filmen widmen, die sie tief berühren und bewegen sollen? In den vergangenen Jahren hat die Entertainmentforschung eine Vielzahl von Konzepten entwickelt, welche der Frage nachgehen, warum sich Menschen „bedeutungsvollen“ Medieninhalten und speziell „Narrativen“ zuwenden. Mit der Resonanztheorie hat der Soziologe Hartmut Rosa (2016) einen umfassenden Entwurf vorgelegt, welcher auf diese Frage eine Antwort geben könnte: Wenn Menschen in entfremdeten Weltverhältnissen leben, sehnen sie sich nach Momenten des Glücks und der Verbundenheit. Durch das Erleben von Narrativen modulieren sie ihre Weltbeziehung und machen momenthafte Erfahrungen der Schönheit, Hoffnung und Spiritualität.

Ziel dieser theoretischen Arbeit ist es, ein an die Rezeptionsforschung anschlussfähiges Konzept einer „resonanten Medienerfahrung“ zu entwerfen, welches die grundlegende Motivation zur Zuwendung zu bedeutungsvollen Medieninhalten erklärt. Für dieses Vorhaben an der Schnittstelle zwischen Sozialphilosophie und Rezeptionsforschung wird einerseits auf Rosas Resonanztheorie und andererseits auf Freys (2017) Konzept der „erfahrungshaften Rezeptionsmodalität“ zurückgegriffen.

Im Verlauf der Untersuchung wird deutlich, dass eine resonante Medienerfahrung den Fokus weg von selbstbezogenen Gratifikationen hin zu einem Weltausschnitt außerhalb des „Selbst“ verschiebt. Die resonante Beziehung kann dabei in dem Gefühl einer tiefen Verbundenheit zwischen dem Rezipienten und einem Ereignis – wie zum Beispiel die Handlung eines Protagonisten in einem traurigen Film – bestehen. Das Besondere an dieser Erfahrung: Im Sinne von Rosas Begriff der „Entfremdungsresonanz“ ist eine mangelhafte oder entfremdete Beziehung zur Welt im Hintergrund jeder Resonanzerfahrung wirksam und bedingt diese. Damit könnte das Konzept der resonanten Medienerfahrung einen ersten Vorstoß wagen, individuelle Weltverhältnisse in der Spätmoderne in die Rezeptionserfahrung einzubeziehen.

Zudem werden anhand von Hypothesen mögliche Verbindungen zwischen der Resonanzerfahrung sowie medialen und situativen Merkmalen hergestellt und weitere Ausblicke auf das Potential der Resonanztheorie für die Rezeptionsforschung gegeben. Vor allem anhand der Idee der Weltbeziehung scheint es möglich, einseitige Perspektiven – entweder auf den Medieninhalt oder auf die Reaktion der Zuschauer – zu vereinen. Ob eine Medienerfahrung als tief bedeutungsvoll wahrgenommen wird, entscheidet sich letztlich in einem komplexen Aushandlungsprozess zwischen Medium und Rezipient.