Politische Polarisierung wird in der Gesellschaft zunehmend als eine Gefahr für die Demokratie betrachtet, wobei soziale Medien in der öffentlichen Debatte als wesentliche Treiber dieser Polarisierung gesehen werden. Insbesondere die Phänomene der Filterblase und der Echokammer, bei denen Nutzer:innen vermehrt einstellungsbestätigenden Inhalten ausgesetzt sind, gelten in der Forschung als potenzielle Ursachen für diese Entwicklung, während die Auswirkungen einstellungsgegensätzlicher Inhalte noch uneindeutig sind. Ebenso bleibt der Einfluss individueller Persönlichkeitsmerkmale auf die Polarisierung durch soziale Medien weitgehend unerforscht. Diese Studie beschäftigt sich demnach mit der Frage, inwiefern Persönlichkeitsmerkmale die Auswirkungen von einstellungsbestätigenden und einstellungsgegensätzlichen Inhalten in sozialen Medien auf die politische Polarisierung der Nutzenden beeinflussen.
In einem Online-Experiment, welches innerhalb einer Online-Befragung mit 151 Teilnehmenden erfolgte, wurden der Einfluss der Einstellungskonsistenz (einstellungsbestätigend/einstellungsgegensätzlich) auf ideologische und affektive Polarisierung überprüft. Anhand des Themas Klimaschutz wurde Polarisierung gemessen. Das Forschungsdesign war einfaktoriell, wobei der Faktor „Inhalt“ auf zwei Stufen manipuliert wurde: „für Klimaschutzmaßnahmen“ und „gegen Klimaschutzmaßnahmen“. Die Manipulation erfolgte durch einen Instagram Beitrag einer Nachrichtenseite und einer dazugehörigen Kommentarspalte als Stimulus. Die Persönlichkeitsmale Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus wurden als sowohl Moderatoren für den Effekt von Einstellungskonsistenz auf politische Polarisierung als auch als direkte Prädiktoren für Polarisierung überprüft.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen einstellungsbestätigenden und einstellungsgegensätzlichen Inhalten hinsichtlich ideologischer und affektiver Polarisierung gibt. Diese Studie steht damit im Widerspruch zu den gängigen Annahmen von Filterblasen und Echokammern, die davon ausgehen, dass die vermehrte Rezeption von einstellungsbestätigenden Inhalten zu politischer Polarisierung führen kann. Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse, dass die Persönlichkeitsmerkmale Offenheit und Verträglichkeit direkte und indirekte Auswirkungen auf politische Polarisierung haben können. Offenheit wurde dabei als Moderator für den Zusammenhang zwischen einstellungsgegensätzlichen Inhalten und ideologischer Polarisierung identifiziert. Für die öffentliche Debatte sind diese Ergebnisse insofern relevant, als soziale Medien nicht pauschal als Treiber für Polarisierung gelten können. Polarisierung ist kein allgegenwärtiger Effekt von sozialen Medien, sondern vielmehr einer, der nur situativ und individuell stattfindet. In Anbetracht der vorliegenden Ergebnisse sollte künftige Forschung Polarisierungseffekte nicht überschätzen, sondern sich stattdessen auf die detaillierte Untersuchung der genauen Prozesse konzentrieren, die zu Polarisierung durch soziale Medien führen können. Ebenso sollten Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie dieser Effekt abgeschwächt werden kann.