Der Privacy Calculus wird klassisch als eine Abwägung aller gegenwärtig bekannten Kosten und Nutzen für die persönliche Privatheit definiert. Immer mehr Forschungsarbeiten legen jedoch nahe, dass auch eine affektive Wirkung Einfluss auf die Wahrnehmung der Privatheit haben kann. In unserem Alltag haben wir oft nicht die Möglichkeit, aufwändige Abwägungsprozesse zu durchlaufen. Obwohl wir es gewohnt sind, permanent Entscheidungen zu treffen und neue Situationen einzuordnen, scheinen dennoch uralte Vorurteile eine Art Renaissance zu erleben.
Die vorliegende Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen kulturellen Vorurteilen und dem Privatheitsbedürfnis von Nutzenden sozialer Netzwerkseiten. Dabei wurden anhand eines Online-Experiments mit anschließender Befragung eine asiatische und eine amerikanische Version eines fiktiven sozialen Netzwerks gegenübergestellt und die Konstrukte Privatheitsbedürfnis, stereotypes Denken, Vertrauen und Misstrauen gegenüber der Datenverarbeitung durch den Provider sowie die Wahrnehmung der Privatsphäre-Risiken untersucht. Insgesamt wurden die Fälle von 216 Proband:innen ausgewertet, welche zwischen August und Oktober 2020 erhoben wurden.
Die gewonnenen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das Stimulus-Material einerseits einen hohen Einfluss auf das stereotype Denken, Misstrauen, Vertrauen sowie die Wahrnehmung der Privatsphäre-Risiken hat: Proband:innen, welche das asiatische soziale Netzwerk vorgelegt bekamen, haben durchschnittlich weniger Vertrauen, ein höheres Privatheitsbedürfnis und nehmen mehr Privatsphäre-Risiken wahr, als die Proband:innen die mit dem amerikanischen sozialen Netzwerk konfrontiert wurden. Andererseits scheinen die Nutzer:innen jedoch gut einschätzen zu können, welche Daten sie in sozialen Netzwerken preisgeben möchten und welche nicht, wie die Befragung im Rahmen der Studie zeigt. Dies deutet darauf hin, dass die Privatheits-Einstellungen der Proband:innen unabhängig vom jeweiligen Stimulus-Material vorhanden und stabil sind. Es scheint zudem, als sei das stereotype Denken ein maßgeblicher Einflussfaktor, welcher sich sowohl auf die Wahrnehmung der Privatsphäre-Risiken, als auch auf die Einschätzung gegenüber dem Umgang mit den persönlichen Daten durch das soziale Netzwerk auswirkt. Damit zeigt sich, dass die emotionale, affektive Einschätzung einen deutlich ausgeprägten Anteil an der Entscheidungsfindung hat und auch für zukünftige Forschung weiter berücksichtigt werden kann.