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Zwischen Homöopathie, Falschinformation und Rechtsextremismus

Eine automatisierte Inhaltsanalyse zur Vernetzungsstruktur der Querdenken-Bewegung auf Telegram

Die andauernden Proteste gegen die Corona-Politik der Bundesregierung, unter anderem initiiert durch Querdenken – eine der prominentesten Gruppen des Spektrums – sorgen medial für Aufruhr. Häufig wird in der Berichterstattung eine Radikalisierung der Bewegung konstatiert. Um Dynamiken und Orientierungen auf Strukturebene nachvollziehen zu können, beschäftigt sich die Arbeit mit den Kommunikationsmustern und Organisationsstrukturen der Gruppierung auf dem Messenger-Dienst Telegram. Ziel der Arbeit ist die Beschreibung anhand von Strukturmerkmalen sowie die Verortung der Bewegung innerhalb der Networked Public Sphere (Benkler et al., 2015; Kaiser, 2016; Kaiser & Rauchfleisch, 2019).

Durch die Verknüpfung des Echokammer-Konzepts (Sunstein, 2001) mit dem funktionalen Gegenöffentlichkeitsmodell von Kaiser und Rauchfleisch (2019) folgt als Teil der beschriebenen Radikalisierung, die aus der ausbleibenden Reaktion des politischen Systems hervorgeht (Kaiser & Rauchfleisch, 2019, S. 249), die Herausbildung einer Echo-Kammer. Diese Echo-Kammer wiederrum verstärkt das Auftreten einseitiger, potenziell radikaler Positionen.
In der empirischen Umsetzung wird der Vernetzungszusammenhang einer Gegenöffentlichkeit mittels computergestützter Netzwerkanalysen mit einer dominanten Öffentlichkeit gemessen, um die Herausbildung von Echo-Kammern auf Strukturebene zu analysieren. Primär soll nachvollzogen werden, ob sich die Gruppierungen im Zeitverlauf zu konsistenten, abgeschlossenen Clustern verdichten und welche Inhalte in diesen Clustern zirkulieren. Hierfür wurden 2.343.874 Einträge in einem Zeitraum von 13 Monaten (März 2020-April 2021) auf interne und externe Verlinkungen (zu Alternativmedien und Mainstream-Nachrichtenseiten) analysiert, um festzustellen, ob sich die Gruppen zunehmend von der Debatte der professionellen Öffentlichkeit entfernen und mehr und mehr auf Alternativmedien zurückgreifen, die dem eigenen Weltbild stärker entsprechen.

Die Ergebnisse verdeutlichen zum einen das Erstarken (sowohl durch stärkere kommunikative Verbindungen als auch durch eine steigende Anzahl zugeordneter Accounts) jener Subgruppen, die radikalere Positionen innehalten (z.B. verschwörungsideologische oder rechtsextremistische Inhalte), zum anderen ein Verschwinden anderer Subgruppen, welche auf Basis der zugehörigen Accounts und Inhalte als eher moderat zu bewerten sind. Darüber hinaus verändern sich die Referenzen zu Nachrichteninhalten im Zeitverlauf beträchtlich. Während Mainstream-Nachrichtenseiten im März 2020 die Gesamtheit der geteilten Inhalte innerhalb des Querdenken-Netzwerks dominieren, nimmt der relative Anteil von Mainstream-Inhalten kontinuierlich ab. Stattdessen werden „alternative“ Inhalte häufiger geteilt. Abschließend kann festgestellt werden, dass sich die Querdenken-Bewegung immer mehr von einer dominanten Öffentlichkeit distanziert und das Auftreten radikaler Positionen erleichtert wird. Wenn es also um das Ideal geht, Themen und Meinungen in öffentlichen und zugänglichen Räumen auszuhandeln und Deutungen auszudifferenzieren, so entfernt sich die Querdenken-Bewegung davon. Rückbindend kann dies als Indikator für die Ausbildung einer Echo-Kammer gedeutet werden. Diese Entwicklung führt das originäre Bestreben der Bewegung ad absurdum.