Streming-Dienste gehören für immer mehr Menschen zum regelmäßigen Medienrepertoire und haben – insbesondere in den jüngeren Generationen – das lineare Fernsehen bereits teilweise abgelöst. Auf Streaming-Plattformen wie Netflix können nicht nur fiktionale Serien und Spielfilme, sondern auch Dokumentationen rezipiert werden. Bei einigen der auf Netflix streambaren Produktionen fällt auf, dass diese bestimmte Eigenschaften aufweisen: Behandelt werden aktuelle, gesellschaftlich relevante und populäre Themen, die den Zeitgeist treffen. Die häufig komplexen Themen werden einseitig, reißerisch, teilweise gar populistisch behandelt; es werden simplifizierende und pauschalisierende Aussagen getätigt; die Themen werden aus einer spezifischen Perspektive behandelt und in ein entsprechendes Narrativ eingebettet. Es werden wissenschaftliche Studien und Expert*innen angeführt, allerdings überwiegend oder ausschließlich mit Inhalten, die die propagierte Botschaft der Dokumentation und die Meinung der Protagonist*innen unterstützen. Die beispielhafte Analyse von Netflix-Dokumentationen wie „Seaspiracy“ oder „The Social Dilemma“ zeigt, dass genretypische Merkmale der Dokumentation – wie etwa Sachlichkeit, Neutralität und Ausgewogenheit – auf der Streaming-Plattform häufig nicht eingehalten werden.
Die vorliegende Untersuchung widmete sich der Frage, inwiefern Rezipient*innen von Netflix-Dokumentationen diesen Vertrauen schenken. Mittels qualitativer Leitfadeninterviews wurde untersucht, welche Faktoren das Vertrauen in die Dokumentationen auf der Plattform beeinflussen – sowohl seitens des Vertrauenssubjekts (also Merkmale der Rezipient*innen) als auch seitens des Vertrauensobjekts (Merkmale der Dokumentationen). Es stellte sich heraus, dass die Befragten in Dokumentationen auf Netflix einen großen Fokus auf Unterhaltung wahrnehmen und diese daher dem Phänomen des Infotainments zugeordnet werden können. Jener Schwerpunkt auf Unterhaltung wird von den Rezipient*innen einerseits positiv bewertet, andererseits aber auch kritisiert und als vertrauensmindernd eingestuft, wenn darunter Qualitätsmerkmale wie Sachlichkeit oder Informationsgehalt leiden. Eine weitere zentrale Erkenntnis ist, dass Menschen vor allem Dokumentationen zu jenen Themen rezipieren, deren Botschaften ihrer eigenen Meinung entsprechen – und durch jenen confirmation bias empfänglich für die vermittelten Inhalte sind. Ingesamt zeigten die Befragten jedoch einen kritischen und überaus reflektierten Umgang mit Netflix-Dokumentationen und äußern aufgrund der eingangs erwähnten Merkmale, dem starken Fokus auf Unterhaltung und vermuteter wirtschaftlicher Interessen der Plattform, ein eingeschränktes Vertrauen.