Homosexuelle Männer wurden bis in die 1990er Jahre in Filmen und Serien überwiegend als Bösewichte und Opfer von Gewalt dargestellt; lesbische Frauen kaum thematisiert. Während die quantitative Zahl sowie allgemein die positive Darstellungsweise homosexueller Figuren in den vergangenen Jahren zunahm, geben mehrere Untersuchungen immer noch Hinweise auf eine stereotype und heteronormative Art der Darstellung. Dabei hängt die (Nicht-) Repräsentation von gesellschaftlichen Gruppen in den Medien laut Gross (1991) stark mit gesellschaftlicher Macht zusammen und die Art der Darstellung einer Minderheit ist von den Vorstellungen der Elite zu ihr geprägt. Im Sinne der Kultivierungshypothese beeinflussen stereotype Mediendarstellungen sowohl die Vorstellungen ihrer homo- als auch ihrer heterosexuellen Rezipienten und führen zur Konstruktion einer eigenen sozialen Realität. Stereotype sind kritisch, da sie im Sinne der 3-Komponentenkonzeption der Einstellung indirekt zu Vorurteilen und Diskriminierung führen können. Darüber hinaus dienen queere Figuren insbesondere homosexuellen Jugendlichen als Vorbild, die häufig außerhalb der Medien keinen Kontakt zu Gleichgesinnten haben. Im Sinne von Darley & Russell (1980) ist es möglich, dass es hierbei zu einer „Einverleibung“ der Stereotype kommt und infolgedessen zu einer Art „selbsterfüllenden Prophezeiung“ mit Homosexuellen, die sich stereotyp verhalten. Dies wiederum kann im Sinne der Resonanz zu einem verstärkten Kultivierungseffekt bei Heterosexuellen führen, wenn sie diesen stereotypen Homosexuellen auch in der Realität begegnen und ihr konstruiertes Weltbild damit als bestätigt sehen.
Da zudem die Bedeutung von Videostreamingdiensten, insbesondere bei Jüngeren, in den vergangenen Jahren zugenommen hat, untersucht die Studie explizit Eigenproduktionen des Marktführers Netflix.
Ziel war es zu klären, ob homosexuelle jugendliche Figuren in Netflix Originalserien im Sinne des Inversionsmodells stereotyp dargestellt werden. In einer Inhaltsanalyse wurden aus 22 Serien 42 Figuren à 5 Szenen untersucht, was einen Stichprobenumfang von 210 Szenen ergab. Die Figuren wurden unter anderem in Hinblick auf eine stereotype Darstellung der Charaktereigenschaften, des Aussehens sowie der non- und paraverbalen Kommunikation geprüft. Anschließend wurde eine Clusterung vorgenommen, woraus sich drei Cluster („Vermeintlich Maskuline“, „Charakterstarke Schönling“, „Gänzlich Maskuline“) ergaben. Insgesamt geben die Ergebnisse Hinweise darauf, dass homosexuelle Jugendfiguren in Netflix Originalserien im Sinne des Inversionsmodels stereotyp dargestellt werden. Es gehörten rund 50% der schwulen sowie 60% der lesbischen Figuren den stereotyp geprägten Clustern an. Bei homosexuellen Männern war wie erwartet besonders die para- und nonverbale Kommunikation, bei homosexuellen Frauen das Aussehen stereotyp geprägt.