transfer 28(2) » Medieninhalte

Die Augenzeug*innen von heute

Zur Darstellung von Augenzeugenschaft in Beiträgen zum Ukrainekrieg auf der Social-Media-Plattform TikTok

In der Kriegsberichterstattung sind journalistische Augenzeug*innen von besonderer Bedeutung – verleihen sie dem Kriegsgeschehen doch Sichtbarkeit und Kontext, indem sie vor Ort anwesend sind und die Situation in einem „verstehbaren Ganzen“ (Daniel, 2006, S. 12) darstellen. Im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine äußern sich auch Privatpersonen auf Social-Media-Plattformen zum Kriegsgeschehen. In diesem Zusammenhang ist die Social-Media-Plattform TikTok von besonderer Relevanz. Der Dienst bietet die Möglichkeit, vertikale Kurzvideos zu teilen und zu rezipieren. Gerade solche Videos und Bilder mit amateurhafter Ästhetik entwickeln einen hohen Grad an vermeintlich authentischer Augenzeugenschaft (Grittmann, 2019).

Die Arbeit stellt die Frage, wie Augenzeugenschaft von Privatpersonen auf TikTok her- und dargestellt wird. Unter Berücksichtigung spezifischer Social-Media-Logiken wie etwa der Zirkulation von Internetmemes und der medialen Herstellung von Augenzeugenschaft (Peters, 2001) nimmt sie die Videos von zwei TikTok-Kanälen besonders in den Blick: mit @valrisssh denjenigen einer Privatperson und mit @alexhook2303ua denjenigen einer soldatischen Persona. Mittels einer hermeneutischen Medienanalyse werden von beiden Kanälen jeweils die zehn Videos mit der höchsten Reichweite (Stand 22.05.2023) untersucht, um Besonderheiten bezüglich der Vermittlung von Augenzeugenschaft auf TikTok festzustellen.

Die auffälligsten Merkmale der untersuchten Videos, die Einfluss auf die Augenzeugenschaft haben, sind die Präsenz vor Ort, Verwendung von Humor, Imitation von Liveness und das Erzeugen von Emotionen beim Publikum. In den Videos offenbart sich eine deutliche Haltung gegenüber dem Krieg, da die beiden „TikToker*innen“ ihre Augenzeugenschaft humoristisch und emotional überzeichnet aufladen. Die Videos liefern also weniger eine präzise und distanzierte Darstellung des Kriegsgeschehens in der Ukraine, vielmehr wird das Konzept der Augenzeugenschaft dazu verwendet, affektiv zu wirken und somit eine emotionale und zugleich flüchtige Erfahrung zu schaffen. Damit leistet die Arbeit einen explorativen Beitrag zur Erforschung der Darstellung des Ukrainekriegs auf TikTok und zu den plattformbedingten Veränderungen von Kriegsberichterstattung und Augenzeugenschaft.