Misstrauen ist die „positive Erwartung nachteiligen Handelns“ (Luhmann, 2014, S. 93). In einer Vorstudie wurden Misstrauensäußerungen in der Facebook-Kommunikation von sieben AfD-Politiker*innen identifiziert und typisiert. Damit konnten erstmals Erkenntnisse zu Vorkommen und Eigenschaften von Misstrauensäußerungen gewonnen werden. Unklar blieb allerdings, ob diese vom rechtspopulistischen Charakter der AfD oder von ihrer Rolle als Oppositionspartei herrühren. Die Arbeit stellte daher folgende Frage: Wie unterscheiden sich Misstrauensäußerungen durch Politiker*innen der AfD von Misstrauensäußerungen durch Politiker*innen anderer deutscher Parteien?
Zur Beantwortung dieser Frage wurden in einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse nach Mayring alle Facebook-Posts (n=1.156) von insgesamt 18 Politiker*innen von sieben Parteien (AfD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, CSU, FDP, Die Linke und SPD) im Zeitraum vom 01.10.2019 bis zum 30.11.2019 auf Misstrauensäußerungen hin untersucht, die Ergebnisse verglichen und eine Typologie von Misstrauensäußerungen erstellt.
Vier Typen von Misstrauensäußerungen wurden im Material identifiziert: (a) Der theoretische Idealtyp (benennt alle Elemente, die sich aus der Definition von Misstrauen ableiten lassen), (b) diffuses / generalisiertes Misstrauen (konkrete Handlungen oder Handelnde werden nicht benannt oder Erwartungen werden von einer konkreten Situation ausgehend auf alle zukünftigen Handlungen einer Person oder Gruppe übertragen), (c) Misstrauenszustände (Misstrauen als anhaltender Zustand, der sich kontinuierlich von der Vergangenheit bis in die Zukunft erstreckt) und (d) Misstrauensmarker (auf Signalwörter verdichtete Misstrauensnarrative).
Die Ergebnisse der Inhaltsanalyse zeigen, dass Politiker*innen von Oppositionsparteien häufiger Misstrauen äußerten als ihre Kolleg*innen von Regierungsparteien. Hinsichtlich der Quantität und der Eigenschaften von Misstrauensäußerungen stechen jedoch Politiker*innen der AfD aus der Gruppe der Oppositionspolitiker*innen heraus. In jedem Post von AfD-Politiker*innen fanden sich durchschnittlich 1,7 Misstrauensäußerungen. Bei den anderen Oppositionsparteien (FDP, Grüne, Linke) kam durchschnittlich nur eine Misstrauensäußerung auf drei Beiträge. AfD-Politiker*innen äußerten zudem häufig diffuses Systemmisstrauen und die Erwartung fundamentaler Schäden durch das Handeln von Politik und Medien, während Misstrauensäußerungen der Politiker*innen anderer Parteien eher Kritik an konkreten politischen Vorhaben formulierten. Misstrauensäußerungen erfüllen damit unterschiedliche Funktionen: Konstruktiv können sie als Kritik auf Verbesserung innerhalb des politischen Systems hinwirken, destruktiv können sie auf die Ausgrenzung von Gruppen und die Ablehnung des politischen Systems abzielen.