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Pro-social identity?

Auswirkungen sozialer Gruppenmitgliedschaft auf prosoziales Verhalten im Internet

Hassrede im Internet stellt eine wachsende Herausforderung dar. Plattform-Betreibende erkennen das Problem zunehmend und führen neue Möglichkeiten der Intervention gegen Hatespeech ein. Um das Interventionsverhalten der Nutzer*innen besser zu verstehen, beschäftigt sich diese Arbeit mit den Auswirkungen bestimmter Merkmale sozialer Identifikation auf die Bereitschaft zu prosozialem Verhalten in der digitalen Kommunikation. Dabei bezieht sich die Untersuchung speziell auf Intervention in Folge einer sogenannten Eigengruppen-Hatespeech, einer Hassrede gegen die eigene soziale Gruppe.
Untersucht wird der Einfluss bestimmter Gruppenmerkmale sowohl auf die generelle Bereitschaft zu prosozialem Verhalten als auch auf bestimmte Formen der digitalen Intervention. Hier wird in reaktives und initiales prosoziales Handeln unterschieden. Reaktives Handeln, etwa das Melden eines Hassbeitrags mittels eines vorgegebenen Buttons, zeichnet sich durch hohe Anonymität sowie einen geringen Grad an Aufwand für Intervenierende aus. Initiale Intervention, zum Beispiel das Verfassen eines prosozial widersprechenden  Antwortkommentars gegen die Hatespeech, gehen in diesem Kontext mit einem höheren Grad an Eigeninitiative einher. Neben dem Vergleich zwischen männlichen und weiblichen Personen, wird auch der Einfluss vorangegangener Hatespeech-Erfahrung untersucht. Des Weiteren werden Mitglieder formal festgelegter sozialer Entitäten mit Angehörigen meinungsbasierter Gruppen verglichen.

Zur Überprüfung der forschungsleitenden Fragen und Hypothesen, wurde eine Sekundäranalyse einer quantitativen Online-Befragung vom Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München zur Bystander-Intervention im digitalen Kontext durchgeführt.
Die Arbeit stützt sich auf die sogenannte Social Identity Theory, nach der Menschen ihr soziales Umfeld und sich selbst aufgrund fremd- und selbstzugeschriebener sozialer Gruppenzugehörigkeiten wahrnehmen. Des Weiteren wird die einschlägige Forschung zu Online-Hassrede sowie zu prosozialem Verhalten durch Bystander aufgegriffen und in den Untersuchungskontext gesetzt. Besonderes Augenmerk findet das Bystander-Intervention-Modell, welches prosoziale Intervention als fünf-stufigen Entscheidungsprozess versteht. Es zeigt sich, viel Hatespeech-Erfahrung beeinflusst die Bystander-Intervention stärker positiv als alle anderen untersuchten Prädiktoren. Menschen, die bereits häufiger Hassrede ausgesetzt waren, zeigen darüber hinaus nicht nur mehr initiales, sondern auch mehr reaktives prosoziales Verhalten. Der Vergleich zwischen meinungsbasierten und formellen Gruppen ergibt keine signifikanten Unterschiede. Verglichen zu Frauen, sind Männer eher dazu bereit, in Folge einer Eigengruppen-Hatespeech sowohl generell prosozial zu intervenieren, als auch initiales Verhalten zu zeigen. Hingegen würden Frauen häufiger mittels reaktiver Handlungsweisen vorgehen. Da digitale Plattformen jedoch generell weniger Möglichkeiten für reaktives Handeln bereitstellen, könnte es hier zu einem verzerrten Meinungsbild kommen.