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Neue Formen der Geschichtsvermittlung

Eine qualitative Untersuchung zur parasozialen Interaktion in der Auseinandersetzung mit vergegenwärtigten historischen Figuren in sozialen Medien am Beispiel des Instagramkanals @ichbinsophiescholl

Instagram-Nutzer:innen konnten von Mai 2021 bis Februar 2022 die letzten zehn Monate des Lebens von Sophie Scholl in Echtzeit über den Instagram-Kanal @ichbinsophiescholl aus der Perspektive der Widerstandskämpferin selbst mitverfolgen. In den Beiträgen wurde immer wieder dazu aufgerufen, mit der fiktiven vergegenwärtigten Darstellung von Sophie Scholl, verkörpert von Schauspielerin Luna Wedler, zu interagieren.

Diese Arbeit untersucht, wie sich Nutzer:innen in den Kommentaren mit den Inhalten auseinander setzen, inwiefern parasoziale Prozesse und Empathie erkennbar sind, und damit welche Perspektiven diese Art der Geschichtsvermittlung für erinnerungskulturelle Angebote bieten kann. Dazu wurde eine qualitative Inhaltsanalyse von 80 Nutzer:innen-Kommentaren unter den Beiträgen einer Woche durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Auseinandersetzung in verschiedener Weise erfolgt. Sie unterscheidet sich auf formaler Ebene in der zeitlichen Verortung der Inhalte sowie in der Adressierung, einerseits an eine Sophie Scholl der Gegenwart sowie der Vergangenheit und andererseits an die Projektredaktion. Nutzer:innen setzen sich sowohl auf der zeitlichen als auch auf der inhaltlichen Ebene zu den Inhalten ins Verhältnis. Sie kommunizieren mit Sophie Scholl im Rahmen ihrer alltäglichen Instagram-Nutzung und setzen sich emotional sowie mit parasozialen Tendenzen und Empathie mit den Inhalten auseinander. Andere weisen eine distanzierte analysierende Haltung zu den Inhalten und der Darstellung von Sophie Scholl auf.

Durch die Kombination von etablierten Formen der Narration mit neuen Verbreitungswegen macht das Projekt Geschichte für die alltägliche fast beiläufige und unterbewusste Auseinandersetzung zugänglich. Die individuelle Auseinandersetzung mit der in den Kontext der gegenwärtigen Instagram-Nutzung gesetzten Sophie Scholl weist damit auf neue Möglichkeiten von erlebbar gemachter Geschichtsvermittlung hin, kann aber aufgrund der Rekontextualiserung der historischen Inhalte gleichzeitig kritisch betrachtet werden.