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Im Dienst massenmedialer Öffentlichkeiten?

Zur Rolle wissenschaftlicher Expert*innen & der deliberativen Qualität ihrer Äußerungen im Kontext der Covid-19-Berichterstattung deutscher Online-Zeitungen

In der Pandemie stehen vermehrt wissenschaftliche Expert*innen in der Öffentlichkeit. Sie tragen von Berufs wegen zur Verifizierung empirischer Fakten bei und beziehen ihr Wissen auf praktische Fragen von allgemeinem Interesse. Ausgehend vom systemischen Verständnis der deliberativen Demokratietheorie (z.B. Mansbridge et al., 2012) untersucht und beurteilt die Arbeit die Einbindung wissenschaftlicher Expertise in die Berichterstattung.

In einer inhaltsanalytischen Untersuchung wurden Expert*innen-Zitate (N = 352) aus der Corona-Berichterstattung der BILD.DE, der FAZ.NET, sowie der SUEDDEUTSCHE.DE quantitativ ausgewertet. Exemplarisch berücksichtigt die Arbeit Artikel zu den drei Teildiskursen ‚Maske-Tragen‘, ‚Beschulung in der Pandemie‘ und ‚Impfung gegen Covid-19‘. Die deliberative Qualität der Zitate wurde dabei mit etablierten Maßen wie Begründung, Responsivität sowie dem Absprechen der Expertise als Sonderform der Inzivilität beurteilt. Daneben wurde die eingenommene Rolle (Pielke, 2007) der Expert*innen über den Bezug der Äußerung und das Vorhandensein politischer Handlungsempfehlungen bestimmt. Die Arbeit untersuchte den Einfluss verschiedener institutioneller, individueller und kommunikativer Kontextfaktoren auf diese Kriterien.

Die Ergebnisse sprechen unter anderem dafür, dass der Journalismustyp (Qualitäts- vs. Boulevardmedium) keinen Einfluss auf die deliberative Qualität und die Expert*innen-Rolle in den Zitaten hat. Dagegen scheinen Expert*innen, die einer Institution mit Politikberatungsauftrag angehören, häufiger als andere Wissenschaftler*innen in der Rolle des Issue Advocate zitiert zu werden. Weiterhin unterscheiden sich die Wissenschaftler*innen der ‚harten‘ und ‚weichen‘ Disziplinen hinsichtlich des Bezugs ihrer Äußerungen. Schließlich begünstigen längere Expert*innen-Zitate das Vorhandensein einer Begründung. Die Zuordnung zu den konkreten Rollen konnte stellenweise nicht eindeutig erfolgen und bleibt in Zukunft näher zu klären.

Die Arbeit diskutiert das demokratische Potential wissenschaftlicher Expertise in der Berichterstattung und trägt ein Stück zum besseren Verständnis der Verknüpfung verschiedener Arenen im deliberativen System bei.