Mit dem Aufkommen der sog. Serious Games und dem stetig wachsenden Interesse, sowohl auf Entwickler*innen- als auch auf Forscher*innenseite, die Grenzen des Mediums auszuloten, hat sich das spannende Feld der dokumentarischen Videospiele aufgetan. Statt sich einem Videospiel zu widmen, welches explizit einen dokumentarischen Anspruch erhebt, liegt dieser Arbeit eine Analyse des Titels The Stanley Parable (TSP) zugrunde. Hierbei handelt es sich um ein metafiktionales- und reflexives Videospiel, welches in seiner narrativen Form an die Bücher der Choose Your Own Adventure Series erinnert. In dem sog. Museum Ending, welches Teil eines der zahlreichen alternativen Handlungsverläufe ist, findet sich der/die Spieler*in in einem virtuellen Museum wieder, welches das Spiel selbst zum Gegenstand seiner Ausstellung hat. Es wird dort in erster Linie der Entstehungsprozess von TSP aus Sicht der Entwickler dokumentiert. Doch inwiefern lässt sich TSP deshalb als dokumentarisches Videospiel begreifen?
Ausgehend von einer eingehenden Gegenüberstellung der immanentistisch geprägten semiotisch-strengen Theorie und der Semiopragmatik in Bezug auf die Anwendbarkeit der durch sie definierten Begriffe des Dokumentarischen auf das Medium des Videospiels, expliziert die Arbeit zunächst grundlegende theoretische Probleme und Möglichkeiten das Dokumentarische im Videospiel zu verorten. Anschließend werden konkrete Konzeptionen des Dokumentarischen in Videospielen kritisch hinterfragt. Insbesondere durch den Bezug auf die Modi der Sinn- und Affektproduktion, die durch die Semiopragmatik vorgeschlagen werden, gelingt es zu erklären, wieso manche der vorgestellten Autor*innen wohl eine dokumentarische Rezeptionserfahrung bei Videospielen zu verorten suchen, die sich zwar auf die Realität beziehen, jedoch vollkommen fiktional sind und keinerlei expliziten dokumentarischen Anspruch erheben
In Form und Vorgehen angelehnt an die soziologische Film- und Fernsehanalyse (Peltzer & Keppler, 2015), wurde ein Methodisches Instrument entwickelt, welches die Transkription der visuellen und akustischen Ebene von Videospielen erlauben soll. Erweitert wurde der Ansatz darüber hinaus um die Ebene der Spielmechanik, wobei Begriffe und Kategorien von Lankoski und Björk (2015) übernommen wurden.
Die Analyse ergab, dass der/die Spieler*in ab dem Wechsel der Narration aus der Fiktion gerissen und durch die ästhetische Referenz zum Museum und den Rückgriff auf die dort institutionalisierten Praktiken der Wissensvermittlung, dazu angeleitet wird den dokumentarisierenden Modus anzuwenden. Die Exponate sind dabei die eigentlichen Texte, durch die Information produziert und die Konstruktion eines realen Enunziators stimuliert wird. Videospiele erlauben also die Konstruktion von text-internen externen Lektüreanweisungen, die eben nicht die Lektüre des (Haupt-)Textes, in dem sie vorkommen, sondern der Texte, die in dem (Haupt-)Text vorkommen, programmieren. Diese werden hier textinterne Meta-Lektüreanweisungen genannt. Hervorzuheben ist aber, dass der Teil des Spiels, der den dokumentarischen Modus programmiert der Teil ist, der nahezu keine Charakteristika von Videospielen aufweist, weshalb letztendlich streitbar bleibt, inwiefern von einem dokumentarischen Videospiel gesprochen werden kann.