Misstrauen in Journalismus wird zumeist als das einfache Gegenteil von Vertrauen verstanden und anhand niedriger Werte auf Vertrauensskalen operationalisiert. Demgegenüber steht die Auffassung, dass es sich bei Vertrauen und Misstrauen um zwei separate Konstrukte handelt. Nach Luhmann (2014) handelt es sich bei Misstrauen nämlich nicht einfach um fehlendes Vertrauen, sondern um eine „positive Erwartung nachteiligen Handelns“ (S. 83). Diese Arbeit ging der Frage nach, ob sich die Konzeptualisierung von Misstrauen als ein eigenes und von Vertrauen distinktes Konstrukt empirisch nachweisen lässt.
Im Zentrum der Untersuchung stand die Exploration der Dimensionen, Gründe und Konsequenzen von Misstrauen in Journalismus, die sodann mit dem Vertrauenskonstrukt (Kohring, 2004) verglichen werden sollten. Hierfür wurden 16 Leitfadeninterviews mit Personen geführt, die anhand ihrer Nutzerkommentare auf den Facebook-Seiten alternativer Medien eine misstrauische Haltung gegenüber dem etablierten Journalismus erwarten ließen. Die Auswertung der Interviews erfolgte mithilfe der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2016).
Die Ergebnisse zeigen, dass Medienmisstrauende eine unwahre, unvollständige, oberflächliche und parteiliche Berichterstattung erwarten, der es an der richtigen Themenauswahl, an Vielfalt und an angemessener Kritik mangelt. Die Begründung von Misstrauen erfolgt hauptsächlich anhand der Zuschreibung fehlender Autonomie und einer Manipulationsabsicht. Konsequenzen von Misstrauen sind vor allem in einer Abwendung vom etablierten Journalismus hin zu alternativen Medien sowie im Unterlassen von Handlungen auf Basis der Berichterstattung zu beobachten.
In den Interviews wurden keine Erwartungen genannt, die nicht mit dem Vertrauensmodell von Kohring (2004) vereinbar wären. Vielmehr weisen die Vertrauens- und Misstrauensdimensionen einen gegenteiligen Charakter auf (z. B. Vollständigkeit vs. Unvollständigkeit der Informationen). Dies legt die Vermutung nahe, dass sich Misstrauen in Journalismus sehr wohl anhand der niedrigen Werte auf einer Vertrauensskala erheben lässt. Auch die Gründe und Konsequenzen weisen einen gegenteiligen Charakter auf. Gänzlich verschiedene Gründe und Konsequenzen von Vertrauen und Misstrauen konnten jedoch nicht ausgemacht werden. Die Schlussfolgerung lautet daher, dass es sich bei Misstrauen in Journalismus um kein separates Konstrukt, sondern um das (konvertible) Gegenteil von Vertrauen handelt. Dennoch scheint die Frage nach der Relation von Vertrauen und Misstrauen keineswegs endgültig beantwortet und bedarf einer empirischen Überprüfung, zumal die Schlussfolgerungen in dieser Arbeit vielmehr logischer Natur sind und die realisierte Stichprobe keine allgemeingültigen Aussagen erlaubt.