Welche Formen die mediale Erinnerung an das nationalsozialistische Deutschland annehmen sollte, ist seit Jahrzehnten Teil populärkultureller sowie wissenschaftlicher Debatten. Zu Beginn des Jahres 2021 veröffentlichten BR und SWR ein Projekt der Erinnerung, das sich insbesondere an eine junge Zielgruppe richtete. Der Instagram-Account @ichbinsophiescholl stellte über fast ein Jahr hinweg aus der Ich-Perspektive Sophie Scholls Leben in München und den Widerstand der Weißen Rose durch Stories, Reels und Posts dar.
Wie die Argumente der Diskussion um das Projekt lauten, welche Akteur*innen welche Positionen beziehen und wie sich das Projekt in den weiteren Kontext deutscher, medialer Erinnerungskultur einschreibt, wird in dieser Arbeit durch eine qualitative Wertargumentanalyse untersucht. Untersuchungsgegenstand sind 21 textbasierte und audiovisuelle Beiträge in Form von Kommentar, Kritik oder Interview von FAZ, SZ, SPIEGEL, taz, tagesschau24, bpb, Landesschau Rheinland-Pfalz, Übermedien, ZDF Magazin Royale und den Gedenkorganisationen Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft und Anne Frank Bildungsstätte. Alle Beiträge sind Teil einer wertenden, medialen Debatte außerhalb der partizipativen Kommentarfunktionen des Projekt-Accounts auf Instagram. Methodisch stützt sich die Arbeit auf die Forschung zu „Medienwertung“ von Sibylle Bolik und Helmut Schanze (2001). Das Kategoriensystem wurde basierend auf dem „Leitfaden zur Auswertung von Wertungstexten“ (Bolik & Schanze, 2001) deduktiv hergeleitet und durch neue, auf den Untersuchungsgegenstand angepasste Kategorien induktiv ergänzt.
Die Analyse der Beiträge zeigt ein mitunter einheitlich kritisches Bild gegenüber dem Projekt. Während das grundsätzliche Vorhaben, Geschichte über Social Media an junge Zuschauer*innen zu vermitteln als richtig und wichtig anerkannt wird, liegt ein Großteil der Kritik in der konkreten Umsetzung. So wird dem Projekt eine stellenweise falsche und entkontextualisierte Darstellung des Lebens von Sophie Scholl und dem Wirken der Weißen Rose vorgeworfen. Darüber hinaus hätten die Macher*innen ihre Verantwortung im Rahmen eines solchen (Bildungs-)projekts sowie die Limitationen der Plattform Instagram nicht vollumfassend wahrgenommen. Es würde zu stark emotionalisiert und eine deplatzierte Identifikationsfläche geboten. In der Diskussion wird jedoch auch das grundsätzliche Ausbleiben von Alternativvorschlägen in der Realisierung deutlich, was die Komplexität der Umsetzung dokufiktionaler Projekte innerhalb der Erinnerungskultur an die nationalsozialistische Zeit betont.