transfer 23(1) » Rezeptions- und Wirkungsforschung

Medienhandeln als Zeithandeln revisited

Die Flexibilisierung der Mediennutzung am Beispiel des Serienstreamings junger Leute

Medien, vor allem das Fernsehen, sind in modernen Gesellschaften fest in den Tagesablauf ihrer NutzerInnen eingebaut. Um bestimmte Sendungen rezipieren zu können, passen die ZuschauerInnen die eigenen Alltagstätigkeiten an die jeweiligen Ausstrahlungszeitpunkte an. Auf diese Weise erlangen diese Sendungen einen nicht unerheblichen Einfluss auf den Rhythmus des öffentlichen sowie privaten Lebens und dienen als Orientierungspunkte zur Planung des Alltags der NutzerInnen. Dementsprechend stellt Neverla (1992) die These auf, dass es sich bei Fernsehnutzung nicht allein um inhaltliche Rezeption handelt, sondern Mediennutzung wie jede Form von sozialem Handeln ebenfalls aktives Zeithandeln darstellt, das bestimmte Zeitmuster und -strategien erfordert. Streamingdienste haben sich hingegen die Gegebenheiten des Internets mit seiner von biologischen und sozialen Zeitformen losgelösten Zeitgestalt zu Nutze gemacht. Sie bieten ihrer Kundschaft eine mannigfaltige Auswahl, die sie zeit- und ortsunabhängig rezipieren können.

Ziel der Arbeit war es zu erschließen, inwiefern das Serienstreaming die in der Kommunikationswissenschaft durch Neverla (1992) bekannten, zeitbezogenen Nutzungsmuster audiovisueller Bewegtbildinhalte von jungen Menschen verändert hat. Zur Unterscheidung hinsichtlich des linearen Fernsehens und Streamingportalen werden Hasebrinks (2012) Strukturprinzipien des linearen Fernsehens und das Konzept der Kommunikationsmodi herangezogen. Mit Hilfe des Domestizierungsansatz wird zur Untersuchung dieser Frage eine aneignungsorientierte Analyseperspektive eingenommen. Dazu öffnet der Ansatz den Blick auf den Kontext der alltäglichen Mediennutzung und damit einhergehend auch für die Wechselbeziehungen zwischen medialem und nicht-medialem Handeln.Die an die Grounded Theory angelehnte, qualitative Inhaltsanalyse mehrerer Leitfadeninterviews kommt zu dem Schluss, dass die von Neverla (1992) aufgestellten idealtypischen zeitbezogenen Fernsehnutzungsmuster für das vorliegende Sample auch auf die Streamingnutzung übertragbar sind. Die Befunde zeigen, dass die gestreamte Serienrezeption ritualisiert Einzug in den Alltag seiner NutzerInnen findet. Weiter wird ihr Alltag durch die Flexibilität der Streamingdienste individueller gestaltbar, denn das Streamingverhalten wird an die eigenen Pflichten und den sonstigen Alltag angepasst. Zusätzlich offenbaren die Ergebnisse bei der Seriennutzung im häuslichen Umfeld geschlechterspezifische Tendenzen.