Das im Jahr 2016 geschlossene EU-Türkei-Abkommen hatte zum Ziel, den Zuzug “illegaler Migration“ nach Europa im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 einzudämmen. Nachdem es Anfang 2020 aufgekündigt worden war, wurden im Jahr 2021 hochrangige Dialoge zwischen der EU und der Türkei wiederaufgenommen und eine Neuauflage des Abkommens verhandelt. Die vorliegende Arbeit betrachtet die mediale Darstellung der Flüchtlingskrise anhand der Berichterstattung zum EU-Türkei-Abkommen im Frühjahr 2021. Basierend auf der Foucaultschen Diskurstheorie und der Kritischen Diskursanalyse nach Jäger & Jäger wurde der Mediendiskurs zum EU-Türkei-Abkommen innerhalb neun deutscher Medienangebote mittels qualitativer kategoriengeleiteter Inhaltsanalyse untersucht. Herangezogen wurden die Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, die tageszeitung (taz), die Neues Deutschland (nd), die junge Welt, die Deutsche Welle, Zeit Online und Der Tagesspiegel. Im Rahmen einer Strukturanalyse wurden 45 Artikel analysiert, für die Feinanalyse wurden 17 dieser Artikel in ihrer Tiefe betrachtet.
Das Abkommen erlangte insgesamt wenig mediale Aufmerksamkeit. Auch wenn die untersuchten Medienangebote die Wirklichkeit zum Abkommen mittels diverser Regelsysteme konstruieren, konnten doch drei hervorstechende Diskurspositionen ausfindig gemacht werden. Durch Fokussierung auf die Außenpolitik und die geplante Wiederaufnahme hochrangiger Dialoge zwischen der EU und der Türkei wird das Abkommen medial oft in ein abstraktes außenpolitisches Konstrukt umgewandelt, das jedoch implizit befürwortet wird. Gegner des Abkommens machen primär auf die Flüchtlingslager in Griechenland aufmerksam und stellen dabei Schicksale und Rechte der Geflüchteten in den Vordergrund. Artikel, die das Abkommen befürworten, fokussieren sich andererseits auf die “stabile“ Lage der Geflüchteten in der Türkei und den Rückgang “illegaler Migration“ in die EU. Insgesamt wird medial oft eine Wirklichkeit konstruiert, die die Schutzbedürftigkeit von Menschen ausblendet und ihre Abschottung auf verschiedene Wege legitimiert und als alternativlos erklärt. Für weitere Studien ergibt sich daher die Frage, wie das Abkommen in der Öffentlichkeit nach Rezeption der Medienangebote tatsächlich wahrgenommen wird und welche Folgen sich dabei für die Aufnahmebereitschaft von Geflüchteten ergeben.