Knigge – noch heute gilt der Name des Freiherrn als Synonym für Takt und Anstand. Die Literaturstudie betrachtet seine Verhaltensprinzipien im Kontext sozialer, ideologischer und politischer Gegebenheiten als Ausdruck der latenten Funktion von öffentlicher Meinung. Elisabeth Noelle-Neumanns Theorie der Schweigespirale ist damit die Grundlage der Arbeit, auf der in Knigges moralphilosophischen Schriften ein gesellschaftlicher Integrationsschlüssel des Individuums im 18. Jahrhundert dekodiert werden soll.
Vor diesem Hintergrund zeichnet sich die Wahrnehmung eines Tribunals ab, vor dem sich jeder verantworten muss. Auch wenn die Bedingungen für einen moralischen Konsens in Deutschland zur Zeit der Aufklärung schwierig waren, zeigt sich die sozialpsychologische Macht der öffentlichen Meinung u.a. in einer Äußerung Knigges, dass sich der Einzelne den Moden fügen müsse, um nicht als ‚Sonderling‘ zu gelten. Dieses Bedürfnis beschreibt die soziale Natur des Menschen, die der Freiherr in verschiedenen Bemerkungen zwar anerkennt, aber gleichzeitig kritisiert. Der menschlichen Isolationsfurcht zum Trotz und ungeachtet drohender gesellschaftlicher Sanktionen fordert er z.B. in seinem populärsten Werk „Ueber den Umgang mit Menschen“, nicht zu sehr „ein Sklave der Meinung Anderer“ zu sein. Der Maßstab für die Moralität einer Handlung ist nach Knigges Ansicht ihr Nutzen für das soziale Kollektiv – und nicht der Schutz des Einzelnen durch konformes Verhalten im Sinne des „großen Haufens“.