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Den Elfenbeinturm aufbrechen. Audiovisuelle Wissenschaftskommunikation auf TikTok

Eine Mixed-Methods-Studie aus multimodaler Videoformatanalyse und Expert:inneninterviews.

TikTok ist die am schnellsten wachsende soziale Medienplattform (Bosch et al., 2021, S. 3) und zählt weltweit über 1,5 Milliarden monatliche Nutzer:innen. Schon längst finden sich auf TikTok nicht mehr nur lustige Sketche und Tanzvideos, sondern auch zahlreiche wissenschaftskommunikative Formate, die durch gezielte Kampagnen des Konzerns immer mehr Aufmerksamkeit erhalten (Zeng et al., 2021, S. 3217). Entsprechend bietet TikTok zahlreiche Chancen und Herausforderungen für Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation.

Die vorliegende Studie beschäftigt sich medienanalytisch mit der Frage, inwieweit das plattformspezifische Potenzial der „neuen“ audiovisuellen Plattform im Rahmen der deutschsprachigen Wissenschaftskommunikation genutzt wird, indem Videotypen auf Grundlage ihrer multimodalen Orchestrierung identifiziert werden. Dabei wird an Bucher at al. (2022) angeschlossen und die für YouTube identifizierten Videotypen um tiktok-spezifische Formate erweitert.

Als klar dominierender Videotypus konnte hierbei der des Talking-Head herausgestellt werden, der eine an die Plattformspezifika TikToks angepasste Form des von Bucher et al. (2022) entwickelten Videotyps des Präsentationsfilms darstellt. Außerdem konnten zwei weitere Videotypen, der des Animationsvideos sowie der Vlog-Stil ermittelt werden, die jedoch im Vergleich zum Talking Head deutlich unterrepräsentiert sind. Der anschließende Akteur:innenvergleich zeigt, dass Wissenschaftler:innen, ähnlich wie auf anderen Plattformen, deutlich amateurhafter als die anderen untersuchten Akteur:innengruppen vorgehen und geringere Reichweiten erzielen. Dennoch scheinen sie sich an die Spezifika TikToks angepasst zu haben und nutzen die Plattform, nicht wie dies vergleichsweise auf YouTube der Fall ist (Bucher et al., 2022, S. 57), nur zur einseitigen Kommunikation, sondern als soziales Medium, indem sie in einen Austausch mit ihrer Community und anderen Kommunikator:innen treten.

Die Videotypenanalyse wird in der Studie durch eine Akteur:innenbefragung zu den Chancen und Herausforderungen der Plattform für die Wissenschaftskommunikation und den möglichen Rollen, die Wissenschaftler:innen auf dieser einnehmen können, ergänzt. Fünf auf TikTok aktive Wissenschaftler:innen wurden hierzu in Leitfadeninterviews befragt. Die Befragten betonen das Potenzial TikToks, vor allem bei jungen Menschen Interesse für die Wissenschaft wecken zu können. Als größtes Potenzial TikToks nennen die Befragten Videos, die den Alltag eine:r Wissenschaftler:in zeigen und die Akzeptanz von wissenschaftsinternen Prozessen sowie von Wissenschaftler:innen selbst erhöhen können. Sie argumentieren, dass der parasoziale Austausch mit Rezipient:innen auf TikTok und der Einblick in den Alltag von Wissenschaftler:innen dazu beitragen, der Metapher des Elfenbeinturms entgegenzutreten und das Public Understanding of Science zu fördern.

Wissenschaftsvideos auf der Videoplattform TikTok haben entsprechend das Potenzial, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in verständlicher und nachvollziehbarer Weise vor allem an ein jüngeres Publikum zu kommunizieren und öffentliche Debatten durch eigene Forschungsergebnisse anzuregen. Jedoch muss dieses Potenzial von Wissenschaftler:innen und Wissenschaftsjournalist:innen genutzt werden, wenn nicht wissenschaftlichen Laien das Feld überlassen werden soll.