Mit der steigenden Reichweite von Video-On-Demand-Angeboten hat auch das sogenannte Binge-Watching an Bedeutung gewonnen. Der Forschungsstand zeigt, dass die Rezeption mehrerer Folgen einer Serie in unmittelbarer Abfolge spezifische Gratifikationen bieten kann. Andererseits kann es auch unangenehmes Empfinden, wie Scham und Unbehagen zur Folge haben oder sich anderweitig auf das alltägliche Leben auswirken.
Die Arbeit betrachtet, inwiefern Binge-Watching als Form des Medienhandelns Teil des Lebensalltags von Rezipienten ist und wie es unter welchen Bedingungen abläuft. Zudem wird untersucht, wie sich das ambivalente Verhältnis zwischen Gratifikationen und negativen Folgen erklären lässt. Das Phänomen Binge-Watching als situatives Medienhandeln, eingebettet in die Kontexte des Alltags, wird dabei aus einer zeittheoretischen Perspektive beleuchtet. Um individuelle Sichtweisen und Bedeutungen zu erfassen, wurden qualitative Leitfadeninterviews mit Binge-Watchern geführt. Im heterogenen Sample werden dabei vielseitige Alltagsentwürfe abgebildet. Die Auswertung der Interviews erfolgte fallbezogen, mittels Einzelfallporträts und außerdem fallübergreifend.
Die übergreifende Analyse zeigt neben allgemeingültigen Unterhaltungsmotiven auch einige originäre Motive zum Binge-Watching auf, die besonders mit der narrativen Spannung von Serien zusammenhängen. Andere zielen auf zeitliche Beschleunigung ab und sind eine Reaktion auf alltägliche Zeitnot. Auch in dieser Untersuchung zeigen sich zudem negative Folgen des Binge-Watching, die vielfach an zeitliche Faktoren geknüpft sind. Der Vergleich der Einzelfälle zeigt außerdem, dass einzelne Personen je nach situativen Kontextbedingungen und Zeitstrukturen ihres Alltags unterschiedlichen Formen des Binge-Watching nachgehen. In einer zentralen Typologie werden vier Binge-Watching-Typen unterschieden, die bezüglich bestimmter Kriterien die Handlungsweisen der Interviewten kontrastieren. Im Alltag einiger Personen tauchen regelmäßig mehrere dieser Handlungstypen auf, bei anderen nur ein oder zwei. Manche Typen erfolgen eher spontan und situationsabhängig, andere eher planvoll und ritualisiert. In beiden Fällen ist die Rezeption aber stark von ungeplantem „Hängenbleiben“ betroffen. Dabei zeigt sich ein deutliches Spannungsfeld: Streamingdienste ermöglichen zwar große Zeitsouveränität, doch die Disponibilität freier Zeit ist im Alltag häufig begrenzt.