Interaktive Filme sind so präsent wie noch nie. Produktionen, wie etwa das Netflix Original Bandersnatch (IMDb, 2018) faszinieren ein Publikum, welches während der Filmrezeption moralisch ambivalente Entscheidungen selbst treffen muss und damit direkt auf den Film einwirken kann. Die aktuelle Forschung zum Unterhaltungserleben unterscheidet zwischen zwei Prozessen der Unterhaltung: (1) Hedonisches Unterhaltungserleben bezeichnet vor allem kurzweilige und spaßige Unterhaltung. (2) Non-hedonisches Unterhaltungserleben wird je nach Erklärungsansatz durch die Erfüllung intrinsischer Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit im Rahmen der Self-Determination Theory (SDT; Ryan & Deci, 2000) oder als eudaimonisches Unterhaltungserleben beschrieben, welches das Erleben von Sinnhaftigkeit und Bedeutung beinhaltet (siehe auch Reinecke & Vorderer, 2012; Vorderer, 2011). Zur Erklärung des Unterhaltungspotenzials von interaktiven Filmen dienen Prozess-Theorien, die bisher auf (nicht-interaktive) Filme bezogen wurden. So werden etwa das Versetztwerden in eine fiktionale Welt (Transportation; Green & Brock, 2002), die Identifikation mit (Cohen, 2001) sowie parasoziale Beziehungen zu Protagonist*innen (Horton und Wohl, 1956) zur Erklärung der Attraktivität von Unterhaltungsformaten (interaktiv und nicht-interaktiv) häufig herangezogen (Wirth, Hofer & Schramm, 2012). Die vorliegende Studie befasst sich daher mit der übergeordneten Frage, wie sich interaktive Filme hinsichtlich ihres hedonischen und non-hedonischen Unterhaltungserlebens von ‚klassischen’ Filmen unterscheiden (FF1) und, welche Prozesse dabei zugrunde liegen (FF2).
Um diese Fragen zu beantworten, wurde ein Laborexperiment mit Mixed-Methods-Approach durchgeführt. Proband*innen (N = 60) sahen einen Ausschnitt des interaktiven Netflix-Films Bandersnatch. Im Anschluss beantworteten sie mittels Lautes-Denken-Methode Fragen zum Unterhaltungserleben und füllten einen quantitativen Fragebogen aus. Erhoben wurden Transportation (Appel, Gnambs, Richter, & Green, 2015), Identifikation (Cohen, 2001), Parasoziale Interaktion (Schramm & Hartmann, 2008), Eudaimonisches und Hedonisches Unterhaltungserleben (Wirth, Hofer & Schramm, 2012) sowie Enjoyment und Appreciation (Oliver & Bartsch, 2010). Die Antworten auf die Fragen zum Lauten Denken wurden transkribiert und schließlich mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Bilandzic & Trapp, 2000). Alle erhobenen Aspekte des Unterhaltungserlebens wiesen höhere Mittelwerte in der interaktiven Experimentalgruppe (EG) als in der nicht-interaktiven Kontrollgruppe (KG) auf. Es zeigte sich, dass die Interaktivität das Unterhaltungserleben sowohl bezüglich hedonischer Elemente als auch bezüglich eudaimonischer Elemente erhöht. In den Befragungen wurde besonders deutlich, dass das aktive Mitentscheiden des Charakters insbesondere für die Prozesse der Transportation, Identifikation und Parasozialen Interaktion förderlich waren.
Durch die vorliegende Studie kann sowohl ein erster quantitativer Einblick zu den Wirkungen im interaktiven Unterhaltungserleben bei Filmen als auch ein Verständnis für Hintergründe zu den Gedanken, Emotionen und Einstellung der Rezipierenden geschaffen werden. Es zeigt sich, dass Interaktivität während der Rezeption von Filmen durchaus das Unterhaltungserleben auf allen erhobenen Ebenen erhöhen kann. Nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Literatur stellt diese Studie somit einen ersten Einblick dar und bietet einen Anreiz, sich auch in Zukunft weiter mit interaktiven Filmerlebnissen auseinanderzusetzen.