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Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück

Eine Experimentalstudie zur Akzeptanz politischer Kompromisse

In sozialen Systemen sind Konflikte allgegenwärtig und besonders das politische System basiert auf Konflikten. Kompromisse stellen eine Norm dar, wie Konflikte geregelt werden können, anstatt zu eskalieren oder zu politischer Handlungsunfähigkeit zu führen. Wegen dieser deeskalierenden Funktion werden Kompromisse teilweise positiv bewertet. Sie werden aber auch negativ bewertet, weil sie immer mit einem Abrücken von den eigenen Zielen und Überzeugungen einher gehen. Eine Besonderheit politischer Kompromisse ist dabei, dass die Menschen, die von der Kompromissentscheidung betroffen sind, häufig nicht die sind, die den Kompromiss entschieden haben. Die Interessenvertretenden müssen also häufig Entscheidungen treffen, die nicht gänzlich im Sinne der Vertretenen sind, was unter anderem Vertrauensprobleme mit sich bringen kann.

Deshalb befasst sich diese Arbeit mit Kompromissakzeptanz und untersucht, inwiefern sich die Kompromissberichterstattung auf die Kompromissakzeptanz auswirkt. Konkret werden die Einflüsse der Konfliktart (Wert- vs. Interessenkonflikt) und des Konfliktframings (eskalativ vs. deeskalativ) untersucht. Der Framing-Ansatz ist das zentrale theoretische Konzept der Arbeit, wobei Merkmale eskalativen und deeskalativen Framings aus dem Konzept des Friedensjournalismus abgeleitet werden. Die Unterscheidung zwischen Wert- und Interessenskonflikten basiert auf verschiedenen Theorien zur Konfliktdifferenzierung und der Annahme, dass manche Konflikte eher durch Kompromisse deeskaliert werden können als andere. Die Arbeit ordnet sich in die Medienwirkungs- und Framingforschung ein.

Empirisch wurde ein Online-Experiment mit 229 Teilnehmenden durchgeführt, die zufällig einem von vier journalistischen Artikeln zugeordnet wurden. Zwei Artikel handelten von einem Kompromiss zum §219a (Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche) aus dem Jahr 2019, zwei weitere von einem Tarifkonflikt in der Baubranche.

Eine ANCOVA zeigte, dass die Kompromissakzeptanz im Interessenkonflikte höher war als im Wertkonflikt. Für das Konfliktframing wurde kein signifikanter Effekt gefunden, jedoch deutet sich an, dass eskalative Darstellungen die Kompromissakzeptanz steigern können. Auch der Interaktionseffekt war nicht signifikant, aber es zeigte sich die Tendenz, dass das Framing im Tarifkonflikt einen größeren Einfluss auf die Kompromissakzeptanz hatte als im §219a-Konflikt. Diese Ergebnisse widersprechen der These, dass deeskalierende Darstellungen zu Konfliktdeeskalation führen würden. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass eskalative Berichterstattung eine Konfliktregelung dringlicher erscheinen lässt und so die Akzeptanz für Kompromisse fördert.