In der Wissenschaft, Politik, in Gewerkschaften und unter Journalistenverbänden herrscht Einigkeit, dass die Prekarisierung im Journalismus angekommen ist. Ursächlich sind Veränderungen wie die Digitalisierung und rückläufige Erlöse, die Medienunternehmen vor finanzielle Herausforderungen stellen und zur Profitmaximierung durch Einsparungen veranlassen. Bisher existieren nur wenige empirische Arbeiten zur Prekarisierung. Zudem beschäftigten sie sich hauptsächlich mit der Situation freiberuflicher Journalisten. Ziel dieser Masterarbeit war es daher zu untersuchen, wie Journalisten in unterschiedlichen Beschäftigungsformen Prekarisierung wahrnehmen und welche Auswirkungen sich für ihre Arbeitspraxis, die Qualität der Arbeit, das journalistische Selbstverständnis, das Berufsfeld und die Funktion des Journalismus ergeben. Da Prekarität als subjektive Erfahrung und vielschichtiges Konstrukt verstanden wird, liegt der Arbeit eine qualitative Studie zugrunde, in deren Rahmen leitfadengestützte Interviews mit sechszehn Journalistinnen und Journalisten bei öffentlich-rechtlichen und privaten Medienunternehmen in Deutschland geführt wurden.
Die Auswertung der Interviews ergab, dass die Befragten eine Vielzahl an Prekarisierungstendenzen wahrnehmen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Vergütung, finanzielle Absicherung, beschäftigungsformabhängige Leistungen und Sicherheiten sowie auf das zunehmende Arbeitspensum und -tempo. Dem entgegen steht die Liebe zum Beruf, die als Kompensator prekärer Arbeitsbedingungen fungiert. Weiterhin hängt die Prekaritätswahrnehmung von der selbstbestimmten Wahl der Beschäftigungsform, der Lebenssituation und dem Alter der Befragten ab. Mit familiären Verpflichtungen und zunehmendem Alter gewinnen finanzielle und arbeitsrechtliche Aspekte sowie die Beschäftigungssicherheit an Bedeutung, sodass die Freiberuflichkeit und befristete Beschäftigungsverhältnisse prekärer wahrgenommen werden.
Die Ergebnisse zu den Auswirkungen wahrgenommener Prekarisierungstendenzen zeigen, dass sich besonders der steigende Zeitdruck, die zunehmende Arbeitsbelastung und verschärfte Kalkulation von Honorar und Zeitaufwand negativ auf die Arbeitspraxis und die Qualität der Berichterstattung auswirken. Das Kriterium der schnellen Umsetzbarkeit, die Dominanz allgegenwärtiger Themen und die abnehmende Recherchezeit zum Verständnisgewinn, Faktencheck und zur Einordnung von Ereignissen begünstigen Themenverflachung und Falschmeldungen. Trotzdem gelingt es den meisten Befragten ihr Selbstverständnis und damit verbundene Qualitätsansprüche (noch) umzusetzen, wenngleich dieses Bestreben die Arbeitsbelastung weiter forciert. Auswirkungen auf das Berufsfeld und dessen Attraktivität werden von den Teilnehmern ambivalent bewertet. Häufig wird die Abwanderung von Journalistinnen und Journalisten mit familiären Verpflichtungen thematisiert. Sowohl durch eine veränderte Arbeitspraxis als auch eine Unterrepräsentation bestimmter Personengruppen können sich folglich negative Auswirkungen für die Programmvielfalt und demokratierelevante Informationsfunktion ergeben. Die Erkenntnisse dieser Studie legen nahe, dass ein Intervenieren der Medienunternehmen unabdingbar erscheint, um einer voranschreitenden Prekarisierung mit ihren negativen Auswirkungen entgegenzutreten.