Viele Musiker*innen und Veranstalter*innen der klassischen Musikbranche in Deutschland wurden durch die Beschränkungen in der Corona-Pandemie 2020-2021 vor die Wahl gestellt: Nichts tun, abwarten und sich mit Corona-Hilfen und branchenfremden Jobs durch die Zeit retten, oder neue digitale Formate entwickeln und online den Kontakt mit dem Publikum suchen. So hat sich ein Großteil der Konzertkultur ins digitale Umfeld verlagert und es wurden Livestream- und andere Videoformate von Veranstalter*innen und Musiker*innen für das Publikum entwickelt. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob Veranstalter*innen klassischer Musik mittels Livestream- und andere Videoformate ökonomische, soziale oder kulturelle Nutzeninnovationen für sie selbst und ihr Publikum geschaffen haben.
Zur Untersuchung wird die Blaue-Ozean-Strategie nach W. Chan Kim und Renée Mauborgne und ihrem Modell der Nutzeninnovation als Grundlage verwendet. Das ökonomische Modell wird um den Begriff des sozialen Kapitals und des inkorporierten Kulturkapitals nach Pierre Bourdieu erweitert. Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurden qualitative Experteninterviews mit Vertreter*innen der drei Institutionen Staatsoper Hannover, Takt1 und Studio4Culture geführt. Es konnte gezeigt werden, dass alle drei Institutionen keine ökonomische Nutzeninnovation für sie selbst geschaffen haben, da die Kosten durch Livestream- und andere Videoformate im Vergleich zu Präsenzkonzerten bisher nicht gesenkt werden konnten. Ähnlich sieht es bei der Entwicklung neuer Möglichkeiten zur Schaffung sozialen Kapitals für das Publikum aus. Auch wenn hier die drei Institutionen zum Teil unterschiedliche Formate entwickelt haben, ist es für das Publikum kaum möglich, neue Beziehungen zu anderen Teilnehmenden über die Veranstaltungen hinaus durch die digitalen Angebote zu schaffen. Deshalb wurde auch hier keine soziale Nutzeninnovation ermittelt. Die Musikvermittlungsprogramme der Staatsoper Hannover und Studio4Culture konnten durch digitale Angebote eine Nutzensteigerung für die Teilnehmer*innen und eine Aufwandsreduktion für die Veranstalter*innen bewirken. Für diese Formate konnte somit eine kulturelle Nutzeninnovation festgestellt werden.