Ob Temptation Island, Der Bachelor, Princess Charming, Love Island, Bauer sucht Frau, Hochzeit auf den ersten Blick, Beauty and the Nerd, Are You The One? oder Finger weg!: Die Liste an Reality-Dating-Shows (RDS), die 2021 für Gesprächsstoff gesorgt haben, ist lang. Obwohl im öffentlichen Diskurs immer wieder die vermeintliche Wirkung von Reality-TV auf die Zuschauer:innen thematisiert wird, mangelt es in der Forschung an empirischen Untersuchungen zu individuellen Rezeptions- und Nutzungsweisen sowie Aneignungsmustern des Publikums. Insbesondere die inzwischen unüberschaubare Angebotslandschaft von „Kennenlern- und Liebessendungen” findet trotz ihrer so hohen Beliebtheit unter den Zuschauer:innen kaum Berücksichtigung in der Forschung.
Die vorliegende Arbeit ergründet, unter Bezugnahme auf den Uses- and Gratification-Ansatz, ausgehend vom strukturellen Interesse an sozial akzeptierten Verhaltensweisen bei der Beziehungsanbahnung, den themenspezifischen Lern-Nutzen als Sehmotiv von RDS. Bisherige Befunde zum Rezeptionserleben von Reality-TV im Allgemeinen werden speziell in den Kontext des Subgenres gestellt und mit dem konzeptualisierten Nutzungsmotiv in Zusammenhang gebracht. Aus dem Wissen, dass Männer und Frauen in ihrem Sexualverhalten stark voneinander abweichen und sich die Herangehensweisen beim Dating geschlechtsspezifisch voneinander unterscheiden, geht die Arbeit ergänzend der Frage nach, ob sich dieser Unterschied auch auf das Sehmotiv niederschlägt.
Die Ergebnisse der quantitativen Online-Befragung deuten zwar nicht darauf hin, dass der vermutete Lern-Nutzen als Zuwendungsgrund von RDS angenommen werden kann, dennoch wurden Zusammenhänge zwischen drei von vier getesteten Dimensionen im Rezeptionserleben und dem Sehmotiv nachgewiesen. Die wahrgenommene Realitätsnähe, soziale Abwärtsvergleiche und parasoziale Interaktionen mit den Realitycharakteren liefern signifikante Erklärungsbeiträge für den themenspezifischen Lern-Nutzen als Sehmotiv von RDS. Vermutungen über geschlechtsspezifische Gruppenunterschiede im Empfinden eines themenspezifischen Lern-Nutzens als Zuwendungsgrund wurden widerlegt.
Die Ausarbeitung leistet nicht nur einen Beitrag für die Mediennutzungsforschung, sondern auch für die Sozialforschung, die bisher nur wenig Erkenntnisse darüber hervorbringen konnte, inwieweit verschiedene mediale Angebote von Jugendlichen als soziokulturelle Deutungsmuster zur Orientierung im Hinblick auf Körperbilder- und Sexualskripte herangezogen und übernommen werden.