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Mario Draghi – Acht Jahre Berichterstattung über den ehemaligen EZB-Präsidenten

Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi hat die Medienlandschaft in Europa so sehr provoziert wie wohl keiner seiner Vorgänger. Insbesondere die deutsche und die französische Presse fallen durch große Uneinigkeit in Bezug auf die Beurteilung der EZB-Politik zu Draghis Amtszeit auf. Diese Arbeit untersucht die entsprechende Print-Medienberichterstattung in je drei führenden Tageszeitungen aus Deutschland (SZ, Handelsblatt, Die Welt) und Frankreich (Le Figaro, Le Monde, Les Échos) sowohl qualitativ als auch quantitativ. Der Untersuchungskorpus fasst über 2000 Artikel aus acht Jahren, die jeweils mindestens dreimal das Wort „Draghi“ enthalten.

Mittels einer LDA-basierten Topic-Analyse (Blei et al., 2003) können pro Land acht latente Themenschwerpunkte identifiziert werden, die die dortige Berichterstattung charakterisieren. In Deutschland ist etwa ein „Sparer“-Topic populär, das die Auswirkungen der Geldpolitik auf die deutschen Sparer*innen fokussiert. In Frankreich existiert ein „Deutschland“-Topic, das die deutsche Kritik an der EZB-Politik thematisiert. Es wird deutlich, dass die französische Presse grundsätzlich wohlwollender über Draghi berichtet: Eine qualitative Framing-Analyse legt offen, dass rund 57% der Berichte aus Frankreich ein überwiegend positives Framing aufweisen, bei den Artikeln aus Deutschland sind es 30% (negativ: Frankreich 16%, Deutschland 40%). Pro Land können zwölf Frames identifiziert werden, die Draghi u.A. als mächtig, heldenhaft oder ratlos darstellen. Zudem neigen beide Länder dazu, nicht hinreichend zwischen der Person Mario Draghi und der EZB bzw. dem EZB-Rat zu unterschieden. Sie reproduzieren damit das Bild eines autonom agierenden Präsidenten, der mächtiger ist als die EZB selbst. Ferner lässt sich zeigen, dass die analysierten Artikel von den vorherrschenden Wirtschaftsideologien auf beiden Rhein-Seiten geprägt sind: In der deutschen Presse wird eher ordoliberal, in der französischen Presse eher keynesianisch argumentiert. Die Arbeit bestätigt damit vorherige Arbeiten, die diese Art der Ideologietreue in Deutschland und Frankreich (Brunnermeier et al., 2018, Ojala und Harjuniemi, 2016) und der Personalisierung (Van Aelst et al., 2012, 2016) nachweisen konnten.