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Journalistische Kultur und Pressefreiheit in Russland

Eine Untersuchung unter Journalisten von Moskauer Medien mit überregionalem Anspruch

In der Arbeit werden die journalistische Kultur Russlands sowie ihre Auswirkung auf die Lage der Pressefreiheit untersucht. Im theoretischen Teil werden zunächst die historischen Wurzeln des russischen Journalismus beleuchtet. Der empirische Teil erforscht das heutige Rollenselbstverständnis und Arbeitsnormen Moskauer Journalisten anhand von Leitfadeninterviews.
Instrumentalisierung durch die Mächtigen, Zensur und eine enge Verflechtung mit der Politik stellten über weite Teile seiner Geschichte die Hauptmerkmale des russischen Journalismus dar. Journalisten betrieben einen Meinungsjournalismus – eine Tradition, die von der Intelligenzija im 19. Jahrhundert stammt. Auffällig ist die Kontinuität zwischen Zarenreich, Sowjetunion und Russischer Föderation. Westliche Einflüsse seit Mitte der 1980-er Jahre haben traditionelle Muster nicht verdrängt. Selbst unter Moskauer Hauptstadt-Journalisten existieren bis heute westlich liberale Einstellungen parallel zu traditionell russischen.
Ein Teil der Medien bezieht auch heute im Sinne des Intelligenzija-Modells offen Stellung, statt nach dem westlichen Modell möglichst neutral Informationen zu vermitteln. Die Staatsmacht, die ihrerseits die neuen demokratischen Spielregeln noch nicht verinnerlicht hat, nimmt sie dadurch als politischen Gegner wahr und bemüht sich, den Mediensektor unter Kontrolle zu bringen. Verantwortlich für die Einschränkung der Pressefreiheit in Russland ist damit das fehlende demokratische Rollenverständnis beider Seiten.