transfer 8(3) » Mediengeschichte

„Journalismus der Sinne und des Sinns“

Max Winters Wahrnehmung und Vermittlung des Wiener Elends in Sozialreportagen der "Arbeiter-Zeitung" 1896 bis 1910

‚Wahrnehmung‘ spielt als aktiver Prozess der Organisation und Interpretation von Information durch Interesse, Aufmerksamkeit, Erwartungen und Wertvorstellungen im journalistischen Kommunikations- und Sinnstiftungsprozess eine maßgebliche Rolle, wird aber in der Journalismusforschung nur defizitär behandelt.
In dieser Arbeit wird zunächst ein interdisziplinär-eklektisches ‚Theorienbündel‘ entwickelt, um auf dieser Basis kontextualisierte Quellenstudien zu Max Winters Sozialreportagen in der „Arbeiter-Zeitung“ im Zeitraum von 1896 bis 1910 unter dem Titel „Journalismus der Sinne und des Sinns“ zu betreiben.
Als eine mediale Lösungsmöglichkeit, die Wirklichkeit darzustellen, schuf Max Winter, gelenkt durch seine journalistische Professionalität, aber auch sein sozialdemokratisches Wirklichkeitsbild, die österreichische Sozialreportage und setzte sich somit gleichzeitig gegen Konkurrenten ab. Dabei verband er strategisch Journalismus, Literatur und Sozialwissenschaft in seiner „Ästhetik des Hässlichen“, mit der er Kritik an Politik und Gesellschaft übte: Das Elend müsse man ‚begreifen‘ – zumindest als ‚Sekundärerfahrung‘ –, denn es stelle ein gesellschaftliches Faktum dar. Je schlimmer das von ihm beobachtete Elend, desto ‚ästhetischer‘, umfangreicher und detailierter die Schilderungen seiner sinnlichen Wahrnehmungen, die nicht ohne Folgen blieben: Wo Unterdrückung herrscht, leiden auch die Sinne. Und umgekehrt bedarf es klarer Sinne, um Unterdrückung zu erkennen.