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Egon Erwin Kischs Reportagen über die USA und die Sowjetunion in den Jahren 1926-1929. Ein Kommunist zwischen Objektivität und offener Parteinahme

Egon Kisch war Reporter, Buchautor und Herausgeber. Er war aber auch ein politischer Mensch, der seine Gabe im Umgang mit Sprache bewusst für seine kommunistische Gesinnung einzusetzen wusste. Kisch gilt als Begründer des Genres der literarischen Reportage. Seine politische Seite hat von jeher Rätsel aufgegeben, da er vom bürgerlichen Publikum vielfach gelesen wurde. In den 1970er Jahren wurde die erste Systematisierung der politischen Äußerungen Kischs im Zusammenhang mit dessen Reportagetheorie vorgenommen. Seitdem herrscht Uneinigkeit darüber, wann er von seiner zu Beginn der 1920er Jahre proklamierten Position der Tendenzlosigkeit zu seinem Ende desselben Jahrzehnts eingenommenen Standpunkt der ‚Offenen Parteinahme‘ wechselte. Um diesen Übergang datieren zu können, wurde eine Gegenüberstellung der Reportagezyklen „Zaren, Popen, Bolschewiken“ von 1927 und „Paradies Amerika“ von 1930 mittels der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse vorgenommen.
Die Analyse zeigt, dass der Reportageband über Russland weder tendenzlos noch parteipolitisch geprägt ist. Kisch scheint verunsichert darüber gewesen zu sein, in wie weit er Bekenntnisse zum Sozialismus offen darlegen konnte. Sein Amerikabuch kann als politisch motiviert angesehen werden, jedoch ergab die Untersuchung, dass hier kein aus der Sicht des Kommunisten, sondern aus der Sicht des Europäers reflektiertes Bild der USA zusammensetzen lässt. „Paradies Amerika“ kann somit nur bedingt der ‚Offenen Parteinahme‘ zugeordnet werden.