Welche Rolle spielt die Selbst-Identifikation als Muslim für die Bereitschaft zum Antisemitismus? Vor dem Hintergrund des seit dem Jahr 2001 global geführten Diskurses um Existenz und Strukturmerkmale eines ‚Neuen Antisemitismus‘ scheint diese Frage in Europa besonders relevant, wo seitdem Muslime als neue Trägergruppe antisemitisch motivierter Strafttaten in Erscheinung traten. Weil die Bezugnahme auf Israel und den Nahostkonflikt ein konsensuelles Element der als neuartig postulierten Judenfeindschaft darstellt, werden daher zunächst die politisch-historischen Wurzeln der Auseinandersetzung eruiert. Auf Basis der Theorie der Sozialen Identität wird unter Einbezug des Mediennutzungsverhaltens, von Überlegungen zu Medienwirkungen und der Lebenssituation deutscher Muslime ein Erklärungsversuch für die Entstehung und Funktionalität antisemitischer Einstellungen entwickelt. Dieses Vorgehen erweist sich als ein fruchtbarer Ansatz, der das Phänomen in seiner Tiefe besser zu begreifen hilft. Insbesondere der Blick auf die interindividuell verschiedene Konstruktion sozialer Identitäten bietet einen wertvollen Schlüssel zum Verständnis. Es zeigen sich Spezifika in der Situation von Muslimen in Deutschland, welche mögliche Prädiktoren für antisemitische Einstellungen darstellen. Gleichzeitig werden Desiderata gegenwärtiger Forschung und Präventionsarbeit offenbar.
Der ‚Neue Antisemitismus‘ und die Theorie der Sozialen Identität
Ein Erklärungsversuch am Beispiel der muslimischen Community in Deutschland