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Die Berichterstattung deutscher und französischer Nachrichtenportale zur Gelbwestenbewegung

Eine komparative Framinganalyse von Artikeln auf lemonde.fr, lefigaro.fr, sueddeutsche.de und welt.de

Die Wahl von Emmanuel Macron zum Präsidenten von Frankreich wurde weltweit als Zeichen des demokratischen Widerstandes in Zeiten von Populismus gewertet. Bereits anderthalb Jahre später formierten sich zehntausende französische BürgerInnen zu einer politischen Widerstandsbewegung, den sogenannten Gelbwesten. Vor dem Hintergrund, dass es europaweit immer mehr populistische Bewegungen gibt, stellen Mobilisationen wie die der Gelbwesten eine große Herausforderung für den Journalismus dar. Um herauszufinden, wie die Gelbwestenproteste medial dargestellt wurden, wird die Berichterstattung deutscher und französischer Nachrichtenportale anhand einer Framing-Analyse verglichen.

In der Theorie werden zunächst aktuelle Ansätze der Framing-Forschung zu Protestbewegungen gegenübergestellt. Als theoretisches Fundament dient der Framing-Ansatz nach Entman. Dieser Ansatz wird um die Annahme des sogenannten Protestparadigmas von Chan & Lee ergänzt. Anhand des mediensystematischen Ansatzes nach Hallin und Mancini und der Nachrichtenwerttheorie von Lippmann werden mögliche Faktoren erläutert, die Unterschiede in der Berichterstattung bedingen können. Des Weiteren werden zentrale Erkenntnisse und Ansätze verschiedener ForscherInnen zum komparativen Framing auf transnationalem Level dargestellt, wobei auch Medienframes zwischen Kultur und Ideologie theoretisch erschlossen werden.
In dieser Arbeit wird das manuell-dimensionsreduzierende Verfahren angewendet, bei dem die einzelnen Frame-Elemente nach Entman kodiert werden. Untersuchungsgrundlage bilden 169 Artikel von lemonde.fr und lefigaro.fr sowie sueddeutsche.de und welt.de, die mittels systematischer Zufallsauswahl gezogen werden. Daraufhin werden mit dem statistischen dimensionsreduzierenden Verfahren der Clusteranalyse Frames gebildet. Mittels Hypothesentests (Chi² oder t-Test) werden Unterschiede zwischen Zeitungslinien und Ländern geprüft.

Ein Ergebnis dieser Arbeit ist, dass bei der Gelbwestenbewegung die Frames „Missbilligende Gewalthervorhebung“, „Fordernde Politikreaktionen“, „Hinterfragende Expertenemeinungen“ sowie „Anschuldigende Wirtschaftsperspektive“ die Berichterstattung der ersten fünf Wochen bestimmen. Das viel diskutierte Protestparadigma kommt nur teilweise zum Tragen. Hintergrundberichte, die auch die Perspektive der Demonstrierenden beleuchten, kommen in etwa gleich oft in den Medien vor, was für eine ausgewogene Berichterstattung spricht. Gegen diese Ausgeglichenheit spricht der starke Fokus auf französische RegierungspolitikerInnen. Was die Verwendung von Zitaten betrifft, lässt sich bei den französischen Medien ein etwas stärkerer Elitenfokus erahnen, da in deutschen Medien deutlich mehr Demonstrierende zitiert werden. Die deutschen Medien bezeichnen die Gelbwesten signifikant häufiger als illegitim als die französischen Medien. Ein weiterer interessanter Aspekt ist der mögliche Einfluss von Zeitungslinien. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen konservativen und liberalen Medien hinsichtlich ihrer Frame-Verwendung. Die Erkenntnisse tragen dazu bei, die Forschungslücke zum Framing der Gelbwestenbewegung zu schließen, indem sie vier zentrale Interpretationsrahmen zum Thema aufzeigen. Gleichzeitig liefern sie Implikationen für künftige Forschung zur Berichterstattung über populistische Bewegungen in Europa sowie den möglichen Einfluss von Zeitungslinien und länderspezifischen Unterschieden.