Im Diskurs um den Journalismus werden Emotionen häufig der Vernunft entgegengesetzt. Weil sie jedoch nicht aus journalistischen Texten ausgeklammert werden können, entsteht ein Spannungsfeld. Um dieses zu navigieren folgen Journalist*innen Regeln und Ritualen, mit denen sie Emotionen in die Berichterstattung integrieren. An preisgekrönten Reportagen untersucht die vorliegende Arbeit diese Strategien. Nach dem Maximum Variation Sampling wurden drei Reportagen ausgewählt, in denen Beschreibungen von Szenen und Emotionen zentral sind.
In einer explorativen Textanalyse wurden die Texte offen kodiert und die Ergebnisse zu drei zentralen Kategorien zusammengefasst, die sich schrittweise von der expliziten Nennung von Emotionen wegbewegen: Emotionen wurden (1) als solche benannt (2) durch Körperpraktiken ausgedrückt und (3) durch das Herstellen von Verknüpfungen (Affizierungen) wirksam. Der Gebrauch dieser Kategorien erhellt das dem Text zugrundeliegende Emotionsverständnis: Umschrieben wird, wo Emotionen stattfinden, wie sie sichtbar und analysierbar werden. In den Texten erschienen Emotionen als passiv und reaktiv, dies entspricht einem konservativen Emotionsverständnis. Emotionen sind dennoch ein zentraler Bestandteil der Texte; da viele Informationen einfach zugänglich sind, stellen Emotionen gewissermaßen den Mehrwert der Reportage dar. Ich nenne dies das strategische Ritual der Nähe, durch das Journalist*innen ihren privilegierten Zugang zu den Protagonist*innen demonstrieren.