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Wer hat das Sagen?

Die Legitimierung von Sprecher:innen in der Auslandsberichterstattung deutscher Tageszeitungen über Afghanistan 2021

Als die Taliban im Sommer 2021 die Macht in Afghanistan eroberten, war in der Auslandsberichterstattung deutscher Tageszeitungen von einem Scheitern des Westens kaum die Rede. Statt kritische Stimmen zu zitieren, schienen die Medien führenden westlichen Politiker:innen Raum zu geben, die Lage zu rechtfertigen. Die vorliegende Arbeit hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, ob dies in mehreren ausgewählten deutschen Tageszeitungen der Fall war – oder ob sich Unterschiede mit Blick auf die politisch-redaktionellen Linien der Medien abzeichneten. Folgende vier Tageszeitungen wurden der Analyse unterzogen: die als konservativ eingestufte Tageszeitung WELT, die liberal-konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die linksliberale Süddeutsche Zeitung (SZ) und die als links geltende taz. Dabei wurde mit einer quantitativen Sozialen Netzwerkanalyse beantwortet, welche Sprecher:innen in den Beiträgen der genannten Tageszeitungen wie stark legitimiert wurden, sich am Diskurs zur Machtübernahme der Taliban zu beteiligen und inwieweit sich dabei Zitationsmuster erkennen ließen. Anschließend wurde mit einer qualitativen Kritischen Diskursanalyse untersucht, wie die Positionen der Sprecher:innen konstruiert wurden und inwiefern die Auswahl sowie Konstruktion der Sprecher:innen Machtverhältnisse und politische Positionen der involvierten Staaten widerspiegelten.

Die Soziale Netzwerkanalyse ergab, dass sich FAZ und SZ zu Sprecher:innen aus Regierungsparteien hinwandten, während WELT und taz mehr Oppositionelle legitimierten, sich am Diskurs zu beteiligen. Bis auf die taz neigten zudem alle Zeitungen dazu, die Taliban zu kollektivieren. Die Kritische Diskursanalyse zeigte wiederum, dass sich die FAZ besonders wohlwollend gegenüber der damaligen Kanzlerin Merkel positionierte. Die SZ fiel als Verfechterin der US-Politik Joe Bidens auf, die WELT fungierte als Kritikerin der Bundesregierung und die taz hob sich von den anderen Tageszeitungen ab, indem sie verschiedenen afghanischen Sprecher:innen, ob Taliban-Sprechern oder der afghanischen Armee, eine Stimme gab. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass die genannten Zeitungen durchaus Machtverhältnisse der involvierten Staaten widerspiegelten. Dabei wurden Abhängigkeitsverhältnisse zwischen dem Westen und Afghanistan nicht nur reproduziert, sondern aktiv mitproduziert.