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Die mediale Repräsentation von Rechtsextremismus in den Jahren 1992/93 im Kontext der deutsch-deutschen Transformationsgesellschaft

Eine qualitative Inhaltsanalyse der Berichterstattung über die Anschläge von Rostock-Lichtenhagen

Ausgehend von der Annahme, dass die Art, wie wir an historischen Rechtsterrorismus erinnern konstitutiv dafür ist, wie wir gegenwärtigen Rechtsterrorismus verhandeln, zielte die vorliegende Arbeit darauf ab gefestigte Repräsentationsmuster in der Berichterstattung über Rechtsextremismus offenzulegen und damit den Raum für die Dekonstruktion von Narrativen zu öffnen.

Untersucht wurde, wie Gewalttäter:innen, Lichtenhagener Anwohner:innen und Opfer rechtsextremer Gewalt im Kontext der Anschläge von Rostock-Lichtenhagen medial konstruiert wurden. Weiterhin war von Interesse, inwiefern die deutsche Wiedervereinigung Einzug in die Debatte hielt, weshalb theoretische Erkenntnisse zum Zusammenhang von Medien und kollektiver Identität sowie zur medialen Ostrepräsentation (Ahbe, 2008; Meyen, 2013) berücksichtigt wurden.

Mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse wurden für einen einjährigen Untersuchungszeitraum (22.08.1992 – 22.08.1993) N = 88 Artikel aus den überregionalen (west)deutschen Zeitungen FAZ, SZ, und Zeit mit thematischem Bezug auf Argumentationsmuster, Sprecher:innenpositionen und sprachlich-stilistische Gestaltung analysiert.

Es konnte gezeigt werden, dass der Ost-West-Konflikt einen dominierenden Bezugsrahmen in der Berichterstattung darstellte.
Als bezeichnendes Deutungsmuster konnte ein Schuldtransfer in den Osten ausgemacht werden, wobei der Eindruck von rechter Gewalt als ureigen ostdeutschem Phänomen erzeugt wurde. Die Ergebnisse legen nahe, dass die rechtsextremen Ausschreitungen und die Verhandlung von Ursachen und Schuld der Täter:innen als Projektionsfläche für die Aushandlung einer ost-, west-, und gesamtdeutschen Identität dienten.

Im Hinblick auf die Repräsentation der Opfer lässt sich festhalten, dass diese gegenüber der Thematisierung der Täter:innen nachrangig behandelt wurde. Die Anschlagsopfer wurden in der medialen Darstellung mehrheitlich unsichtbar gemacht und migrantische Stimmen aus dem Diskurs exkludiert. Stereotypische, Rassismus reproduzierende Zuschreibungen, eine unkritische Übernahme von Aussagen staatlicher und politischer Akteure sowie eine Opferbeschuldigung mit Täter:innenfokus haben sich im Verlauf der Untersuchung als bezeichnend für den Diskurs erwiesen. Wie die Untersuchung zeigen konnte gilt in besonderer Weise für die Opfergruppe der Sinti und Roma. Einer Perspektive, die sich für anschließende Forschung daraus ergibt, ist die antiziganistische Dimension des Rostocker Pogroms.