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Der Wert von Augenzeugenschaft für das Authentizitätsempfinden von Rezipient:innen audiovisueller Konfliktberichterstattung

Der Auftritt von Bürgerjournalist:innen verändert die konventionelle Konfliktberichterstattung. Über Plattformen wie Instagram oder TikTok teilen sie Eindrücke aus Kriegsgebieten, die für Journalist:innen schwer oder nicht zugänglich sind. Diese Augenzeugenbeiträge verbreiten sich schnell, sind niederschwellig und nah an Betroffenen. Vorangegangene Untersuchungen deuten darauf hin, dass Augenzeugenschaft entscheidend dafür sein könnte, ob Rezipient:innen Berichte als authentisch wahrnehmen. Neben journalistischer Objektivität wird Authentizität – das Gefühl von „Echtheit“ – zunehmend als Schlüsselwert für Glaubwürdigkeit gesehen. Die Einbettung bürgerjournalistischer Inhalte in die konventionelle Konfliktberichterstattung stellt den Journalismus vor Herausforderungen der Überprüfbarkeit sowie der Ethik (Darstellung von Leid).

Diese Arbeit untersucht, welche Rolle Rezipierende Augenzeugenschaft in Bezug auf die Authentizität des Berichteten zuschreiben und welche weiteren Merkmale sie für ihre Einordnung heranziehen. Im Rahmen einer Sortierstudie bewerteten zehn Teilnehmer:innen verschiedener Altersgruppen vier Videobeiträge zu einer Explosion in Gaza im Oktober 2023 nach ihrem Authentizitätseindruck. Ihre Entscheidungen wurden mithilfe der Think-Aloud-Methode und Tiefeninterviews erfasst und qualitativ analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass Augenzeugenschaft als zentral für die Authentizität angesehen wird, insbesondere von jüngeren Testpersonen. Jüngere orientierten sich stärker an der menschlichen Perspektive und bewerteten Augenzeugen als authentischer als ältere Befragte, die mehr Wert auf Objektivität legten. Die Mehrheit der Befragten sah einen Vorteil in der Integration von Augenzeugeninhalten, da diese das Verständnis und die Ausgewogenheit eines Beitrags fördern könnten. Unterschiede gab es jedoch je nach Form der Augenzeugenschaft: Während die Befragten dokumentarische Kameraaufnahmen schätzten, wurde technologisierte Augenzeugenschaft, z. B. durch Satellitenbilder, als weniger aussagekräftig eingestuft. Live-Schalten zu Auslandskorrespondent:innen wurden ambivalent wahrgenommen, da diese zwar geographisch näher am Geschehen seien, aber dennoch nicht unmittelbar vor Ort. Authentizität wurde von den Befragten eng mit Begriffen wie Glaubwürdigkeit, Wahrheit und Vertrauen verknüpft und spielte besonders für jüngere Rezipient:innen eine entscheidende Rolle für deren Medienkonsum. Ältere achteten in ihrer Medienentscheidung stärker auf die Quelle und deren Reputation.

Diese Arbeit zeigt, dass Augenzeugenschaft als wichtiges Merkmal für Authentizität gelten kann. Die Ergebnisse könnten in Zukunft durch quantitative Erhebungen untermauert werden. Zudem könnte die Akzeptanz aktivistischer Elemente in journalistischen Beiträgen untersucht werden sowie die Erwartungen von Rezipient:innen an Auslandskorrespondent:innen, insbesondere im Hinblick auf die Rolle geografischer Nähe in der Konfliktberichterstattung.