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Das Clickbait-Phänomen aus der Sicht von Journalisten

Experteninterviews zu Methoden und Folgen der Klickzahlerhöhung im Online-Journalismus

Diese Arbeit befasst sich mit der Sicht von deutschen Journalisten auf Methoden der Klickzahlerhöhung und das Clickbait-Phänomen im Speziellen. Besonderer Fokus liegt auf der Veränderung journalistischer Produktionsprozesse durch Online-Nutzungszahlen und deren Einfluss auf journalistische Qualität, Glaubwürdigkeit und Medienvertrauen. Dazu wurden fünf leitfadenbasierte Experteninterviews mit Journalisten aus dem Online-Bereich geführt und mittels qualitativ-orientierter Inhaltsanalyse ausgewertet.

Das Aufkommen des Clickbait-Phänomens liegt in ökonomischen Herausforderungen der Medienhäuser begründet. Da sich Bezahlmöglichkeiten und Abonnentenmodelle online bislang nicht durchsetzen konnten, sind sie auf Werbeeinnahmen angewiesen. Um als Werbeumfeld attraktiv zu bleiben, werden Online-Nutzungszahlen als symbolisches Kapital verstanden, durch welches die Qualität von Beiträgen bewertet und das effektivste Themenspektrum evaluiert wird. Deshalb besteht im Redaktionsalltag die Gefahr, dass publizistische Motive ökonomischen untergeordnet werden und die Diversität der Berichterstattung leidet. In einer medienkritischen Gesellschaft kann eine solche Journalismusform, die eher von Algorithmen als von den professionellen Relevanzstrukturen der Journalisten geprägt ist, zu einem Verlust von Medienvertrauen führen.

Bei Clickbait handelt es sich um eine Headline-Form, die mittels sensationalistischer Präsentationstechniken erhöhte Aufmerksamkeit, Neugier und Emotionen beim Leser sowie eine Anschlusshandlung (Link-Klick) hervorrufen soll. Es wird zwischen vier verschiedenen Clickbait-Formen unterschieden: Listicles, Question-based headlines, Forward-referencing und Emotional clickbait. Der psychologische Wirkmechanismus der „Klickköder“ lässt sich auf die rezipientenorientierte Nachrichtenwertforschung, den Information-Utility-Ansatz und die „information-gap theory“ zurückführen.

Die befragten Journalisten bestätigten durch ihre Aussagen, dass Klickzahlen sowie die Engagement-Rate in den sozialen Medien wichtige Erfolgsindikatoren nach der Veröffentlichung von Beiträgen sind. Sie beschreiben einen starken ökonomischen Druck, der eine häufige Rechtfertigung von Klickzahlen vor der Chefredaktion nötig macht. Im Redaktionsalltag, speziell beim Verfassen von Überschriften, sei der Klickanreiz elementar wichtig. Über klickstarke Themen werde überproportional häufig berichtet („Malen nach Zahlen“). Zusätzlich zu diesem „Content für die Masse“ werde aber auch hochwertiger Content „für die Marke“ produziert.

Im Großen und Ganzen halten die Journalisten eine Vernachlässigung journalistischer Relevanzkriterien im Kampf um Klicks für möglich. Den Journalismus als demokratietheoretisch fundamentale Institution sehen die Befragten allerdings durch Clickbait nicht akut bedroht. Verantwortung für die Eindämmung des Clickbait-Phänomens wird sowohl den sozialen Medien als auch der Führungsebene von Medienunternehmen zugeschrieben. Weniger ökonomischer Druck würde laut einem Großteil der Befragten zu einer qualitativ hochwertigeren Berichterstattung führen. Außerdem würden Suchmaschinen- und Social-Media-Algorithmen die Zukunft der Überschrift im Netz stark diktieren.