Diese Masterarbeit beschäftigt sich mit der Frage, welchen Einflüssen sich deutsche Türkei-Korrespondenten angesichts der zunehmend eingeschränkten Pressefreiheit gegenübersehen.
Spätestens seit dem Putschversuch im Juli 2016 erlebt die Türkei einen beispiellosen Demokratieabbau. Im Jahr 2019 ist von der einst lebendigen Medienlandschaft nicht mehr viel übrig. Die Regierungspartei AKP kontrolliert nahezu 90 Prozent der Medien, mehrere Hundert Medienunternehmen mussten schließen. Um kritische Stimmen zu unterdrücken, bedient sich die Regierung wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Druckmittel. Das betrifft vor allem türkische Medienschaffende. Aber fühlen sich auch deutsche Korrespondenten eingeschränkt?
In qualitativen Leitfadeninterviews berichteten sechs Korrespondenten einschlägiger deutscher Medienorganisationen (Print, Radio, TV) von ihren Erfahrungen. Die theoretische Grundlage sind Mehrebenenmodelle. Ziel von Mehrebenenmodelle ist es, mögliche Einflüsse auf die Berichterstattung zu ordnen. Denn Mediensysteme werden von gesellschaftlichen, historischen, wirtschaftlichen und politischen Einflüssen bestimmt, die die jeweiligen Ebenen bilden.
Die Auswertung zeigt, dass vor allem Mitglieder von Regierung, Verwaltung, sowie Politiker versuchen, die Berichterstattung der Korrespondenten zu beeinflussen. Weil die Presseakkreditierung über die Aufenthaltsgenehmigung der Journalisten entscheidet, hat die türkische Regierung hier ein klares Druckmittel. Die eindrucksvollen Schilderungen der Korrespondenten zeigen, wie davon Gebrauch gemacht wird. Alle Befragten gehen davon aus, von der türkischen Regierung abgehört und/oder beschattet zu werden. Die Erfahrungen mit Schikane und Polizeiwillkür unterscheiden sich jedoch. Die Befragung zeigt, dass Recherchen durch die gesellschaftliche Verunsicherung schwerer und zeitintensiver geworden sind. Die Korrespondenten bestreiten, eine „Schere im Kopf“ zu haben. Dennoch bezeichnen sie investigative Recherchen zur PKK, Gülen und Erdogan-Familie als tabu oder „rote Linie“.
Die Journalisten geben an, keine grundsätzlichen Sicherheitsbedenken zu haben. Sie genießen weitestgehend Reisefreiheit und betonen, ihren Beruf gerne auszuüben. Sie vermitteln eine starke Verbundenheit mit ihrem Berichtsgebiet. Interessant ist die untersuchte Sonderrolle der öffentlich-rechtlichen Medien. Die Korrespondenten berichten von bestimmten ausländischen Medien, denen die türkische Regierung noch relativ kulant gegenüberstehe, weil sie ein Interesse daran habe, die jeweiligen Regierungen der Heimatredaktionen nicht zu sehr zu verärgern.