Seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 und der darauffolgenden Änderung der Richtlinie 12.1. des Pressekodex ist die Frage nach der Herkunftsnennung von Tatverdächtigen verstärkt in den gesellschaftlichen Fokus gerückt. Nach den Krawallen in Neukölln, während der Silvesternacht 20222/23, flammte die berufsethische Debatte, wie Journalist*innen über die Herkunft Tatverdächtiger berichten, erneut auf. Daran anknüpfend, hat diese Studie den Umgang Berliner Lokalzeitungen mit der Herkunftsnennung von Tatverdächtigen untersucht. Mittels einer Kombination von Elementen der quantitativen und qualitativen Inhaltsanalyse (n=83) wurden Beiträge aus den Zeitungen Tagesspiegel, Morgenpost, B.Z. und Berliner Kurier im Zeitraum Januar bis Juli 2023 untersucht.
Die Ergebnisse knüpfen an Befunde aus der Kommunikationswissenschaft an, dass die Zahl der Herkunftsnennungen seit der Änderung des Pressekodex gestiegen ist. In über einem Drittel (38,55%) der untersuchten Artikel wurde die Herkunft implizit oder explizit genannt, am häufigsten vom Berliner Kurier (52,94%), am seltensten von der Berliner Morgenpost (12,5 %).
Insbesondere Boulevardzeitungen erzeugen dabei ein Bild der Kriminalitätsrealität, welches von der Polizeilichen Kriminalstatistik des Jahres 2022 abweicht. Die stärkste Verzerrung erzeugt die dem Boulevard zugeordnete B.Z, welche die Tatverdächtigen größtenteils als explizit nicht-deutsch markiert, und niemals explizit die deutsche Herkunft nennt. Am präzisesten bildet der Tagesspiegel die Kriminalitätsrealität ab, dessen Hinweise auf die deutsche Herkunft Tatverdächtiger etwa dem Anteil deutscher Tatverdächtiger der polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Jahr 2022 entsprechen.
Die Darstellung Tatverdächtiger variiert je nach Herkunft, wobei deutschen Tatverdächtigen mehr Raum für individuelle Motive zugesprochen wird, während nicht-deutsche Tatverdächtige eher als Teil einer Gruppe präsentiert werden und wenig Raum für die Erklärung ihrer Motive erhalten. Weitgehend Einigkeit besteht bei den untersuchten Zeitungen darin, dass die Herkunft Tatverdächtiger bei besonders schweren Straftaten, wie beispielsweise Messerdelikten, genannt wird.