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Mein Text, meine Meinung, mein Wissenschaftler.

Nutzen Journalisten Wissenschaftler als opportune Zeugen? Eine qualitative Untersuchung.

Wissenschaftler sind wichtige Quellen für Journalisten. Sie dienen nicht nur dem besseren Verständnis von Sachverhalten, sondern auch der Objektivierung und Glaubwürdigkeit von Berichterstattung. In dieser vermitteln sie Fachwissen und erklären Sachverhalte, kommentieren diese aber auch.

Ausgehend von diesen Beobachtungen fragt die vorliegende Arbeit, ob und warum Journalisten Wissenschaftler als „opportune Zeugen“ verwenden. Dies sind nach dem von Lutz M. Hagen (1992) entwickelten Konzept jene Quellen, die Journalisten aufgrund einer generellen Übereinstimmung mit ihrer eigenen Position selektieren. Dabei handelt es sich entweder um eine instrumentelle Aktualisierung (Kepplinger 1989) von Quellen oder um eine unbewusste Handlung, die sich aus dem Streben nach mentaler Konsonanz ergibt (POX-Modell, Heider 1958). Vor dem Hintergrund des vorhandenen theoretischen Rahmens einerseits und des konstatierten geringen Forschungsstands andererseits fiel die Methodenwahl mit Leitfadeninterviews auf einen qualitativen Zugang, der die Anwendung vorhandener analytischer Kategorien erlaubt. Die Interviews wurden mit Print-Journalisten (n= 16) geführt.

Im Wesentlichen zeigt sich, dass diese Wissenschaftler eher dann bewusst als opportune Zeugen verwenden, wenn sie zu einem Thema selbst Expertise haben, nicht tagesaktuell und außerhalb des Wissenschaftsressorts arbeiten. Dort ist die ausgewogene Darstellung wissenschaftlicher Diskurse ebenso wichtig wie die Aufrechterhaltung einer guten Beziehung zum „Arbeitsinstrument“ Wissenschaftler. Auch das Rollenverständnis erweist sich als relevanter Faktor; etwa kann es ein „Watchdog“ rechtfertigen, gezielt nach einer kritischen Stimme zu suchen. Insgesamt aber scheint die Verwendung „opportuner Wissenschaftler“ selten: Die befragten Journalisten und Journalistinnen konsultieren Wissenschaftler vor allem dann, wenn sie zu einem Thema mangels eigener Expertise eine Erklärung benötigen – und folglich weder eine eigene Position haben noch die des Wissenschaftlers kennen respektive einordnen können. Zudem sind sich aus der medialen Funktionslogik ergebende Selektionskriterien wie Erreichbarkeit und Ausdrucksfähigkeit meist relevanter. Durchaus aber nutzen die Journalisten Wissenschaftler als „opportune Zeugen a posteriori“, wenn sie etwa konformistische Interviewstrategien anwenden. Neben diesen Ergebnissen werden in der Arbeit auch Hinweise auf unbewusste und aufgrund sozialer Erwünschtheit unerwähnte Verwendung opportuner Wissenschaftler diskutiert.